Forschungsprofil der Labore
Die Forschungsperspektiven unseres Institutes versuchen in mehrerer Hinsicht eine Balance zu finden zwischen der Entwicklung eines eigenen Profils und der Integration von wie dem Brückenbau zu anderen Disziplinen. So verbinden wir fachgeschichtlich Positionen der seit den 1960er Jahren in der BRD sozialwissenschaftlich neu informierten Volkskunde mit Traditionen der DDR-Ethnografie, orientieren uns an Konzepten der Europäischen Ethnologie in Skandinavien wie in osteuropäischen Gesellschaften, suchen methodische wie theoretische Bezüge insbesondere auch zur Historischen Anthropologie, zur Geschlechterforschung, zur französischen Anthropologie wie zu anglo-amerikanischen Varianten der Cultural Studies, der Cultural Anthropology und der Social Anthropology. Darüber hinaus weisen unsere Arbeiten theoretische wie inhaltliche Nähen auf zu anderen Kultur- und zu den Geschichtswissenschaften sowie zu vielen Arbeitsfeldern der Sozial- und der Regionalwissenschaften. Insofern übernimmt unser Institut auch im Fach eine wichtige Funktion für die Weiterentwicklung der theoretischen und methodologischen Instrumente der Ethnologie wie für ihre disziplinäre Außenpolitik.
Charakteristisch für unsere Forschungen ist daher der interdisziplinäre Horizont, die auf konkrete Wissens- und Praxisformen zielende Perspektive, der Einsatz qualitativer ethnografischer Methoden und die Anwendung kulturtheoretischer Interpretationen. Dabei versuchen wir vor allem, den von den Dingen und den sozialen Akteuren immer wieder erweckten Anschein der Homogenität kultureller Wissensformen, Handlungsmuster und Deutungen aufzubrechen, indem wir auf die Vielfalt der Erfahrungsweisen, auf die Unterschiede der Herkunft und die Vielfalt der Vorerfahrungen im Blick auf Alter, Geschlecht, Gruppenzugehörigkeit und Lebenswelt verweisen. Denn die Gruppen und ihre Kulturen sind nicht statisch und homogen, sondern hochgradig dynamisch und heterogen. Das zeigt sich eben vor allem immer dann, wenn nicht nur kulturelle Momentaufnahmen gemacht, sondern soziale und historische Hintergründe ausgeleuchtet, Transferprozesse und Transformationen beobachtet werden. Denn es ist ja keine neue Erkenntnis, dass große Denker_innen und kleine Angestellte, die überzeugte Atheistin und den fundamentalistischen Gläubigen oft kaum mehr verbindet als die gleiche Sprache und Staatsangehörigkeit.
Mit diesem Forschungsprogramm verfolgen wir konsequent eine Strategie, die drei Engstellen der alten deutschsprachigen Volkskunde zu überwinden versucht. Zum einen begegnen wir der naheliegenden Konzentration der Forschungen auf den deutschsprachigen Raum mit der Stärkung vergleichend angelegter Studien in Europa und darüber hinaus. Zum zweiten zeigt die Bandbreite unserer Forschungsfelder – von der populären Mediennutzung über urbane Lebensformen und Transnationalisierungsprozesse bis hin zur ethnografischen Wissenschaftsforschung und zur Erforschung der Verwissenschaftlichung des Alltags –, dass alte thematische Grenzen beständig überschritten und bewusst erweitert werden. Drittens suchen wir erfolgreich Anschluss an internationale wie interdisziplinäre Theorie- und Methodendiskussionen. Diese Entwicklung spiegelt sich nicht zuletzt darin wider, dass unser Institut inzwischen zu einem attraktiven Partner für viele andere Institute im deutschsprachigen wie im internationalen Raum geworden ist, dass befreundete Wissenschaftler_innen aus dem In- und Ausland gerne zu Gastaufenthalten zu uns kommen.
Unserem Verständnis einer Europäischen Ethnologie wird dabei ein weiter Europa-Begriff zugrunde gelegt, der weit über das Territorium der EU hinausreicht. Die osteuropäischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion gehören ebenso dazu wie die Türkei oder etwa europäische Einflüsse auf nordafrikanische Staaten. In zahlreichen Feldern – etwa der Migration, der Medizinethnologie, der Wissenschaftsforschung oder der ethnischen Identitätspolitik – werden Forschungen von uns bewusst vergleichend angelegt und außereuropäische Fallstudien einbezogen. In ihrem Berliner Zuschnitt ist Europäische Ethnologie damit dezidiert keine europäische Völkerkunde, die quasi nationale Stämme beobachtet. Vielmehr betrachtet sie Europa als spezifischen Wirkungs- und Deutungsraum transnationaler und interkultureller Prozesse sowie als besonderen Ort der Produktion und Aneignung globaler Entwicklungen.
Die wissenschaftliche Organisation dieser verschiedenen Forschungsbereiche wird in aktuell neun Forschungslaboren vorgenommen. Dabei orientiert sich die Arbeit dieser Labore methodisch wie theoretisch an Fragestellungen, die gleichsam quer zur Widmung einzelner Professuren oder Forschungsprojekte liegen und die damit unterschiedliche Zugangsweisen wie auch unterschiedliche wissenschaftliche Qualifikationsstufen verbinden können. Professor_innen, PostDocs, Doktorand_innen und fortgeschrittene Studierende sind damit gleichberechtigte Mitglieder in dieser Laborarbeit.
Die Idee und Arbeitsweisen der Forschungslabore wurden 2011 in der Zeitschrift HU Wissen. Humboldts Forschungsmagazin vorgestellt: