Studierende im Interview
Ein Sommernachmittag im studentischen Café des Instituts für Europäische Ethnologie. Das sogenannte CafEE liegt im Erdgeschoss. Aus dem hinteren Raum, wo die Theke steht, blickt man direkt auf das Justizministerium. Aus dem vorderen Zimmer schauen die Besucher_innen von den schon etwas abgelebten Sofas direkt auf die beeindruckende Weite eines Sees in der kanadischen Wildnis. Keiner weiß, wer hier vor Jahren diese Fototapete an die Wand gekleistert hat. Aber vier Generationen aufgeregter Erstsemester haben sich schon an ihrem ersten Tag in die beruhigende Stille Kanadas geflüchtet.
Gibt es außer diesen schönen Aussichten gute Gründe, in Berlin Europäische Ethnologie zu studieren?
Drei, die es wissen müssen, haben auf diese Frage geantwortet: Tam, 20 Jahre und Bachelor-Studentin im 3. Semester, Sebastian, 28 Jahre, Magisterstudent im 9. Semester und Tutor am Institut und Kathi, 23 Jahre, Studentin des ersten Bachelor-Jahrgangs, jetzt im 6. Semester und, wie Sebastian, aktives Mitglied der Fachschaftsinitiative.
Warum sollten Menschen Europäische Ethnologie in Berlin studieren?
Sebastian: Ihr solltet Europäische Ethnologie studieren, weil es euch die Wahl lässt, das zum Thema zu machen, was ihr interessant findet. Ihr könnt euer Thema aus unterschiedlichen Perspektiven mit euren eigenen Ideen erkunden, und ihr werdet, auch wenn ihr mal falsch liegt, nicht ausgeschlossen, sondern bekommt die Chance, es das nächste Mal besser zu machen. Und ihr solltet in Berlin studieren, weil, glaube ich, keine andere Stadt euch genau so vielfältige Möglichkeiten bietet wie Berlin, das auszuprobieren, was ihr ausprobieren wollt.
Kathi: Das ist ein guter Punkt, das stimmt, dass Berlin und unser Fach viel Möglichkeiten bieten, und wirklich für jeden. Das sieht man in der Stadt und man sieht es auch im Kleinen, am Institut.
Könnt ihr euch noch erinnern wie es war, als ihr hier angefangen habt?
Sebastian: Das Institut hat mich damals überrascht mit der Unstrukturiertheit, als ich angefangen habe zu studieren. Und das hat sich dann aber zum Positiven entwickelt, weil ich gleich vom ersten Semester an meine Freiheiten nutzen konnte, die Schwerpunkte zu belegen, die ich auch wollte. Ich empfand das Institut als sehr klein und intim. Ich war ein bisschen überrascht, dass sich alle mit Vornamen kannten, und sich auch die Lehrenden immer geduzt haben. Tja, ich bin total gerne hier, ich fühle mich hier wohl, ich würde nicht tauschen wollen, zum Beispiel zu meinen Nebenfächern, da wirkt es halt kalt, hier fühle ich mich tatsächlich ein bisschen zu Hause.
Tam: Also das war auch so mein erster Eindruck gewesen, wie ich hier zur Erstiwoche gekommen bin - ich war erstmal überrascht, wie gemütlich und familiär das war. Ich wusste am Anfang ja gar nicht richtig, was ich studieren sollte, irgendwas mit Kultur, Gesellschaft ... und das lässt sich hier gut beides miteinander verbinden. Das bietet viel hier.
Kathi: Bei mir war es ein Mix, dadurch, dass ich der erster Bachelor-Jahrgang war, war es ein wenig chaotisch, was ich aber auch eher sympathisch finde, dadurch entstehen einfach auch noch eher Möglichkeiten, alles etwas lockerer zu nehmen. Wir haben hier ein eigenes Studentencafé, die Atmosphäre ist sehr angenehm, nur lenkt sie auch oft etwas ab, man kann so schön im Café die Zeit verlieren.
Sebastian: Das Gute an diesem Punkt ist auch die Tatsache, dass sich hier viele Studierende engagieren, dass hier ein sichtbares Sozialleben stattfindet, an dem man auch teilnehmen kann.
Wie wird der Bachelor hier umgesetzt?
Tam: Also, wenn ich das mit Freunden aus Leipzig vergleiche, die jetzt auch im 3. Semester sind, die müssen sich für die Module anmelden, und dann wird das gelost, und ist total kompliziert. Hier kann ich das frei wählen, das ist besser. Ich schaue mir ein Seminar einfach an, und wenn es mir nicht gefällt, dann gehe ich in ein anderes Seminar.
Kathi: Das ist auf jeden Fall ein positiver Aspekt, die Seminarauswahl. Man ist nicht gezwungen, irgendwas zu machen, außer den Einführungsseminaren, die ja auch ihren Sinn haben, aber sonst ist man wirklich frei in seiner Wahl. Das ist in vielen anderen Bachelor-Systemen nicht so.
Sebastian: Das ist wirklich gut, die Wahl, tatsächlich einen Interessenschwerpunkt zu finden oder weiter zu entwickeln, wenn man schon einen hat.
Kathi: Ich hab den hier tatsächlich auch gefunden, muss ich sagen. Zufällig, eigentlich, ich wusste nicht mal, dass ich einen suche. Jetzt möchte ich mich auf die Medical Anthropology spezialisieren.
Hat sich euer Blick auf die Welt durch dieses Studium verändert?
Kathi: Wir hatten mal einen kleinen Witz darüber, was man eigentlich lernt, wenn man Europäische Ethnologie studiert. Nämlich, alles einfach in Anführungszeichen zu setzen, "Kultur" und "Nation" (lacht). Aber ich würde auf jeden Fall sagen, dass ich da wachsamer geworden bin, gerade bei solchen Begriffen.
Sebastian: Oft gibt es ja den Vorwurf des Relativismus, alles ist möglich. Aber ich glaube, das ist gar nicht so sehr das, was hier im Fach unterrichtet wird. Es hat mal eine Absolventin unseres Faches gesagt, „man wird hier sehr kritisch ausgebildet“. Und dass kann ich jetzt in der Retrospektive auch bei mir beobachten, dass ich gesellschaftskritischer geworden bin, als ich das zuvor war. Und ich finde es tatsächlich erstaunlich, wie sehr sich die Welt für mich verändert hat, im Vergleich zu der Zeit davor.
Kathi: Mir passiert es in letzter Zeit immer wieder, dass ich einen Dokumentarfilm sehe oder eine Alltagsszene, wo ich dann denke: Das könnte man mal untersuchen! Das ist genau das, was ich studiere
Sebastian: Mir hat mal eine Freundin gesagt, die Psychologie studiert: „Ich bin überrascht, auf wie viele Kleinigkeiten du achtest im Alltag. Das sind Dinge, die würden mir nie einfallen.“ Und das ist, glaube ich, der Blick, der hier geschärft worden ist, auf Kleinigkeiten zu achten, die erst mal unbedeutend erscheinen.
Tam: Ich kann jetzt noch nicht so viel sagen, nach einem Jahr, was ich aber auf jeden Fall gelernt habe, ist, mich selbst zu reflektieren. Bei allem was man selbst sagt, tut, oder auch der Gegenüber, man versucht eher, sich in ihn hineinzuversetzen, und denkt eher, aha, der ist vielleicht so, weil er andere Erfahrungen gemacht hat, aus einem anderen Milieu stammt.
Ist es für euch einfach, eurer Umwelt zu erklären, was ihr da tut?
Tam: Das Nervigste ist immer die Frage: „Was kann man damit machen?“ Ich denke aber, es ist jetzt nicht so essentiell zu wissen, was ich später damit machen will, sondern erst mal auf dem Weg zu sein. Ich lerne ja auch für mich selbst viel dadurch, und nicht, weil ich irgendwas Bestimmtes werden möchte.
Sebastian: Ich glaube, wir sind mehr oder weniger das einzige Fach, wo du nie mit ein oder zwei Sätzen die Leute befriedigen kannst. Wenn ich sage, ich studiere EE, dann kommt erst mal ein leerer Gesichtsausdruck. Und was ich damit machen kann ... die Frage beantworte ich meistens gar nicht, weil die Menschen, die das fragen, sich auch oft gar keine Vorstellung davon machen können, was man aus seinem Leben machen kann, außer es ist vorgeschrieben. Oder ich versuche tatsächlich zu erklären, wie es Tam gerade gesagt hat, dass es für mich nicht essentiell ist was ich danach damit mache, sondern das ist tatsächlich so eine Art Erkundungstour, und am Ende werde ich dann sehen, was raus kommt. Aber, es macht auf jeden Fall viel Spaß, und das ist für mich viel wichtiger.
Kathi: Das ist immer die Bürde der Geisteswissenschaftler, dass das so als brotlose Kunst verstanden wird, was es gar nicht ist. Ich glaube, ein großer Vorteil ist auch, dass wir durch das Studium sehr flexibel werden, und uns anpassen können, was du als BWLer so vielleicht nicht kannst.
Sebastian: Es ist eher so eine quergelegte Kompetenz, die man hier erwirbt. Nicht eine, die dich auf eine bestimmte Berufssituation vorbereitet, sondern eine, die dich als so eine quer gegen den Strich für deinen weiteren Werdegang beeinflusst. Es ist, als wenn man ein Buch quer liest, zum Beispiel mit dem Gedanken, das wurde von einem Mann geschrieben, und ich schau mir an, wie hat er Frauen dargestellt. Und so sehe ich unser Fach auch, nicht jetzt speziell auf Männer oder Frauen, sondern einfach so, dass ich mit diesem Blick, den ich habe, das was ich im Leben erlebe quer lesen kann.
Wir sitzen hier im studentischen Café. Wie funktioniert es?
Kathi: Jeder, der möchte, darf eine Caféschicht anbieten: Kaffee kochen, ausschenken, Brötchen schmieren, so dass es einen Raum gibt für die Studierenden, sich auszuruhen und zu diskutieren.
Sebastian: Und dazu gibt es noch Filmabende, die regelmäßig stattfinden, das sind auch viele Filme, die ich sonst nie angeschaut hätte.
Kathi: Die bunte Mischung bei den Filmen kommt ja auch daher, dass es in der Fachschaft und auch generell am Institut eine sehr bunte Mischung an Leuten gibt, das finde ich auch sehr sympathisch. Langzeitstudierende, welche die schon eine Ausbildung gemacht haben ... dann auch von den Typen her, vom Geschmack her, es ist viel gemischter als an den anderen Instituten, was ich so mitbekommen habe. Das ist sehr fruchtbar.
Sebastian: Das kann fruchtbar sein. Manchmal führt das aber auch dazu, dass es sehr lange dauert, bis die Menschen wirklich etwas machen. Aber ich bin immer wieder erstaunt davon, wie aus einem unstrukturierten Knäuel von Leuten tatsächlich etwas entsteht, das dann überzeugt. Ich glaube, das ist nicht nur hier am Institut so, sondern das ist auch ein bisschen fachspezifisch. Wenn ich mir so die Studierendentreffen anschaue, sind das auch immer so … die werden irgendwie organisiert und man weiß nicht wie, aber wenn man dann da ist, funktioniert alles.