Mission Statement zur Umbenennung der M*straße
Mission Statement
Viele Kolleg*innen und Studierende unseres Instituts sind sehr unzufrieden damit, dass unsere Straße noch immer Mohrenstraße heißt – obwohl dieser Name aus heutiger Sicht Schwarze Menschen herabwürdigt und obwohl Kritiker*innen dagegen schon seit Jahrzehnten protestieren. Für uns als Europäische Ethnolog*innen ist diese Adresse eine besondere Ironie der Wissenschaftsgeschichte und unseres heutigen wissenschaftlichen Selbstverständnisses. Denn sie zeugt von einer in unserer Gegenwart weiterwirkenden gewaltvollen deutschen und europäischen Kolonialgeschichte, mit der wir uns seit langem kritisch befassen.
Wir denken, dass auch Passant*innen und Nachbar*innen ähnlich wie wir die alltagsrassistische Bedeutung des Begriffs nicht akzeptabel finden. Zudem ist es für global vernetzte Institute und Einrichtungen mit internationalen Gästen, Mitarbeitenden und einer (wie in unserem Fall) höchst diversen Studierendenschaft nicht tragbar, ihren Sitz in einer mit „Mohr“ benannten Straße zu haben.
Wir haben deshalb eine Initiative mit dem Ziel der Umbenennung und der Einrichtung eines postkolonialen Lern- und Erinnerungsortes gestartet. Wir streben dafür ein breites Bündnis der in der Mohrenstraße ansässigen wissenschaftlichen Institute, öffentlichen Einrichtungen und Stiftungen an. Das Ziel ist eine Veröffentlichung dieses Mission Statements im Namen der unterstützenden Nachbar*innen und eine erneute Eingabe dieses Anliegens bei der Bezirksverordnetenversammlung Mitte.
Gründe für eine Umbenennung
Zahlreiche Untersuchungen, auch unseres Instituts, zeigen, dass die wahrscheinlich 1706 erfolgte Namensgebung „Mohrenstraße“ in die Zeit der brandenburgisch-preußischen Kolonialunternehmungen sowie in die damit verflochtene, gewaltvolle Geschichte des Sklavenhandels zurückreicht. Der Begriff „Mohr" stellt dabei eine Fremdbezeichnung für Schwarze Menschen dar, die letztere exotisiert und herabsetzt. Unsere heutige kritische Sicht auf dieses koloniale Kulturerbe sollte in einer respektvollen Umbenennung zum Ausdruck kommen.
Die symbolische Repräsentation von Geschichte und die herrschende Erinnerungskultur ist in Straßennamen besonders sichtbar und präsent. Denn in diesen Bezeichnungen kommen die Wahrnehmung und Bewertung historischer Zusammenhänge und Akteur*innen ganz unmittelbar zum Ausdruck. Sie prägen die Orientierung von Passant*innen, Tourist*innen und Anlieger*innen im städtischen Alltagsraum und werden mit jeder Adressnennung in alle Welt verschickt.
Stattdessen: Ehrung eines herausragenden Schwarzen Wissenschaftlers des 18. Jahrhunderts mit dem neuen Namen Anton Wilhelm Amo-Straße
Aus unserer wie der Sicht vieler Kritiker*innen sollte die Straße stattdessen den Namen einer historischen Persönlichkeit der mit Berlin, Brandenburg-Preußen und Deutschland verbundenen Geschichte Schwarzer Menschen tragen. Wir unterstützen den Vorschlag einer Umbenennung zu Ehren von Anton Wilhelm Amo (geb. um 1700 – Todesdatum nicht gesichert). Wir kennen den Berliner Senatsbeschluss, wonach Straßen nur noch in begründeten Ausnahmefällen nach Männern benannt werden sollen. Doch Amos für das 18. Jahrhundert ungewöhnliche Laufbahn weist ihn als ersten Rechtsgelehrten und Philosophen afrikanischer Herkunft in Deutschland aus, die zugleich von der Beteiligung deutscher Herrscher- und Adelshöfe an der Verschleppung afrikanischer Menschen als "Hof-Mohren" zeugt. Amo wurde als Kind aus dem heutigen Ghana verschleppt und 1707 von der holländischen Ostindien-Kompanie dem Hof von Braunschweig-Wolfenbüttel geschenkt, wo er als "Kammermohr" dienen musste. Als eine Besonderheit erhielt er Privatunterricht und studierte später an der Universität Halle (damals Teil des Königreichs Preußen). 1729 bestritt Amo an der dortigen Juristischen Fakultät eine Disputation über die Rechtsstellung von Schwarzen Menschen in Europa. Er argumentierte, so lässt sich aus der überlieferten Zusammenfassung der Arbeit schließen, für die Abschaffung des Sklavenstatus. Als Privatdozent lehrte er an den Universitäten Halle, Wittenberg und Jena. Amo erfuhr neben wissenschaftlicher Anerkennung auch rassistische Anfeindungen. Vermutet wird, dass ihn dies neben anderen Gründen dazu bewogen haben könnte, 1747 nach Ghana zu übersiedeln.
Umbenennung und Einrichtung eines postkolonialen Lern- und Erinnerungsorts
Zugleich soll die Geschichte der Straße, ihres Namens und ihrer Umbenennung von der brandenburgisch- preußischen bis in die reichsdeutsche und nationalsozialistische Ära sowie von der Zugehörigkeit zur DDR bis in die Nachwendezeit in einem postkolonialen Lern- und Erinnerungsort dokumentiert und öffentlich zugänglich gemacht werden. Hierzu soll eine dekolonisierende Kulturwerkstatt entstehen, in der glokale Perspektiven auf die Geschichten der Straße mit verschiedenen Öffentlichkeiten gesammelt, vermittelt und gemeinsam mit ihren Leerstellen für diese verhandelbar gemacht werden. Dafür wollen wir uns auch mit unserer europäisch-ethnologischen Expertise mitgestaltend einsetzen.
Ein breites Bündnis schaffen
Viele wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen in Berlin, Deutschland und Europa teilen unser Anliegen einer kritischen Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte und ihrer Gegenwart. Ihnen und uns geht es darum, diese kritische Sicht gerade auch im urbanen Alltagsraum deutlich zu machen. Wir schließen uns daher dem schon lange währenden Einsatz von Zusammenschlüssen wie dem Afrika-Rat Berlin-Brandenburg, Berlin Postkolonial und der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland an und unterstützen deren Forderungen einer Umbenennung der Mohrenstraße sowie des gleichnamigen U-Bahnhofs. Ebenso unterstützen wir diejenigen Vertreter* innen der in der Bezirksverordnetenversammlung Mitte engagierten Parteien, die sich ihrerseits seit langem für dieses Anliegen einsetzen.
Ein Berliner Zeichen setzen für urbane Weltoffenheit
Die Signale für einen Wandel in Richtung eines reflektierten, postkolonialen städtischen Selbstverständnisses stehen gerade jetzt sehr gut. Die kritische Diskussion über die Herkunft, die Repräsentation und ganz generell den Umgang mit Zeugnissen kolonialer Verflechtungsgeschichte ist inzwischen zu einem wichtigen Thema urbaner Öffentlichkeit geworden. Dies wurde nicht zuletzt angeregt durch die Debatte rund um das Berliner Humboldt-Forum. Nach dem (allerdings noch nicht umgesetzten) Beschluss zur Umbenennung von Straßen mit kolonialrassistischer Herkunftsgeschichte im so genannten Afrikanischen Viertel Berlins, zu dem auch ein Gutachten aus unserem Institut beigetragen hat, scheint die Zeit nun reif, dieses Anliegen auch mit Blick auf die Mohrenstraße erfolgreich umzusetzen. Die Umbenennung und die dazugehörige Dokumentation und Reflexion der Geschichte der Mohrenstraße können ein wichtiges Zeichen setzen angesichts einer zunehmenden rassistischen, neonationalistischen Bedrohung der liberalen Weltoffenheit, für die gerade Berlin steht.
Im Namen der Kolleg*innen des Instituts für Europäische Ethnologie
Regina Römhild