Humboldt-Universität zu Berlin - Institut für Europäische Ethnologie

Wissenschaft

 

Jetzt habe ich ja die Freiheit, Dinge zu ‚erfinden’...

Vor einigen Jahren gab Kerstin Poehls schon einmal ein Interview für die Berufsportraits, damals noch im Bereich Kulturmanagement über ihre Tätigkeit als Kulturreferentin an der Schwedischen Botschaft. Ihre weitere berufliche Biografie führte sie dann aber doch in die Wissenschaft: Parallel zu ihrer Stelle als Kulturreferentin hatte sie bereits in einem Drittmittelprojekt geforscht, das hier am Institut für Europäische Ethnologie angesiedelt war und sich mit Migration als Thema von Ausstellungen und der musealen Darstellung europäischer Grenzen beschäftigte. 2012 verschlug es sie dann an die Elbe, denn heute arbeitet sie als Juniorprofessorin am Institut für Volkskunde/Kulturanthropologie in Hamburg und forscht dort unter anderem zu Europäisierung.

Das Interview führte Tina Reis.
 

Wo arbeiten Sie und was machen Sie dort?

Ich bin seit November 2012 als Juniorprofessorin an der Uni Hamburg tätig, und zwar am Institut für Volkskunde/Kulturanthropologie. Dort unterrichte ich, veranstalte gerade zusammen mit anderen Juniorprofessoren eine Vortragsreihe zum Thema Sammeln und kooperiere mit meinen Kolleginnen und Kollegen. Und ich forsche zu der Frage, wie Zucker und Süßes statt historisch als Luxusgut mittlerweile als gefährliche Lebensmittelbestandteile gelten.
 

Und wie sind Sie zu der Stelle gekommen?

Ich habe mich beworben. Bei den Juniorprofessuren, die ja in den letzten Jahren deutlich mehr geworden sind in unserem Fach, gibt es ein Auswahl- und Berufungsverfahren: Man sendet eine schriftliche Bewerbung ein, dann seine Schriften, also das, was man bis zu dem Zeitpunkt publiziert hat. Falls es dann weitergeht, wird man wie auch eine Handvoll von Kolleginnen und Kollegen zu einem Probevortrag eingeladen, das nennt sich „Vorsingen“... Wenn es so läuft wie erhofft wird man „berufen“, zunächst für drei Jahre.
 

Als das erste Interview für die Berufsportraits mit Ihnen entstand, arbeiteten Sie noch als Kulturreferentin an der Schwedischen Botschaft. Wie kam es dazu, dass Sie dann doch nochmal einen anderen beruflichen Weg eingeschlagen haben?

Als ich bei der Schwedischen Botschaft anfing, war mir das gar nicht klar. Ich hatte ja schon parallel zu meiner Doktorarbeit dort gearbeitet, und ich fand es unglaublich reizvoll, Kulturprojekte mitzuinitiieren und durchzuführen, das noch dazu in Kooperation mit Künstlern und Künstlerinnen und Kulturinstitutionen in Berlin und in Schweden. Doch so spannend das auch ist – ab einem gewissen Punkt wiederholt es sich. Und auch die inhaltliche  „Erfindung“ dessen, worum es geht, liegt letztlich oft in anderen Händen, also nicht bei denen, die dafür sorgen, dass alles praktisch auch funktioniert. Insofern war dann nach fünf Jahren Zeit für was Neues. Oder wenigstens Alt-Neues: Ich hatte ja parallel weiter geforscht...
 

Welche Verbindungen sehen Sie denn zwischen dem, was Sie jetzt in Hamburg machen, und der Arbeit als Kulturreferentin? Konnten Sie etwas mitnehmen?

Na klar. Jetzt habe ich ja die Freiheit, Dinge zu „erfinden“... Damit meine ich: Ich darf mich Fragen widmen, die aktuell sind und auch außerhalb der Wissenschaft diskutiert werden. Vor allem in der Lehre sehe ich viele Anknüpfungspunkte. Zum Beispiel: In Hamburg gibt es, wie in Berlin ja auch, Lehrforschungs- oder Studienprojekte. In Hamburg läuft aktuell und mit 15 Bachelor-Studierenden eines namens „Europolis“. Dabei geht es um die Frage, wie sich Europa und Europäisierung in Hamburg erforschen lassen. Wir nehmen Hamburg als migrantische Hafen- und Handelsstadt in den Blick, wo sich Lokales, Globales und Europäisches verknoten. Als Seminargruppe wollen wir unsere Ergebnisse kartieren, und bei der Arbeit daran muss man sich in Kleingruppen organisieren und Arbeitsschwerpunkte bilden, eine Grafikerin/einen Grafiker finden, einen Drucker suchen.... Das hat ganz viel damit zu tun, als Gruppe zu kommunizieren und sich gemeinsam auf ein Ziel zu verständigen. Das nehme ich mit, und das macht auch riesigen Spaß – das Wort „erfinden“ hat also für mich überhaupt gar nichts damit zu tun, allein im Kämmerchen über Ideen zu brüten.
 

Nun nochmal zur Wissenschaft als Berufsfeld: Was sollten Studierende oder Absolvent_innen der Europäischen Ethnologie mitbringen, um in der Wissenschaft Fuß zu fassen? Welche Kompetenzen sind wichtig?

Puuuuh. Ich glaube, das vielleicht Wichtigste – also neben einem Thema und einer klugen und tragfähigen Fragestellung –  ist die Fähigkeit, Menschen zu finden, mit denen man gern gemeinsam nachdenkt oder die man gewinnt für ein Thema, an dem man zusammen weiterarbeitet. Das kann thematisch sein, das Erkenntnisinteresse, oder es können auch methodische Fragen sein. Man bestärkt, inspiriert und kritisiert einander beim Schreiben oder bei der Feldforschung. Solch einen engen Austausch finde zumindest ich persönlich wichtig... sonst wird’s einsam. Man schreibt zwar doch meistens zunächst alleine, da braucht man sich nichts vorzumachen – aber ich glaube, ein wichtiger Dreh besteht darin, Menschen zu finden, die ähnliches umtreibt.
 

Was finden Sie sonst noch wichtig, was bisher noch nicht zur Sprache kam?

Ich kann eigentlich nur noch einmal unterstreichen, dass die spannenden Themen und kulturanthropologischen, europäisch-ethnologischen Fragen erst dann wirklich lebendig werden, wenn das im Austausch mit anderen Menschen passiert. Zunächst in Arbeitsgruppen, Lesekreisen, Diskussionsrunden, aber dann auch über den engeren Kollegenkreis und das Fach und vielleicht sogar den Wissenschaftsdiskurs hinaus – in Vortragsreihen oder Ausstellungen oder was auch immer man organisiert. Das ist eine Herausforderung – ganz unabhängig davon, ob nun in der Universität oder anderswo.