Humboldt-Universität zu Berlin - Institut für Europäische Ethnologie

Museum Europäischer Kulturen

 

[…], dass man den Besuchern eine Idee wirklich vermitteln kann, und zwar in erster Linie am Objekt und nicht schriftlich.

Irene Ziehe hat von 1978 bis 1983 im Fernstudium am Fachbereich Ethnograhie studiert, aus dem später das heutige Institut für Europäische Ethnologie hervorgehen sollte. Gleichzeitig nahm sie ihre Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Museum Europäischer Kulturen auf, genauer: bei einer seiner Vorgänger-Institutionen. Als Irene Ziehe 1978 in der DDR direkt nach dem Abitur im Museum tätig wurde, hieß es noch Museum für Volkskunde und befand sich auf der Museumsinsel im Osten Berlins. Im Westteil der Stadt, in Dahlem, befand sich sein Pendant: Museum für Deutsche Volkskunde. Nach der Wiedervereinigung wurden auch die beiden volkskundlichen Sammlungen zusammengelegt und in das Museum für Volkskunde überführt. 1999 schlossen sich schließlich die Europäische Sammlung des Museums für Völkerkunde und das Museum für Volkskunde zum Museum Europäischer Kulturen zusammen, das sich heute im Museumsquatier Dahlem befindet und als staatliches Museum von Bund und Bundesländern finanziert wird.

Durch Kooperationen zwischen dem Museum und dem Institut ist Irene Ziehe immer wieder zu Gast im Haus. In unserem Gespräch ermutigte Sie nachdrücklich zur Zusammenarbeit zwischen Studierenden bzw. Forschenden und dem Museum, etwa für Abschlussarbeiten oder Studien- und Forschungsprojekte.

Das Interview führte Julia Roßhart.

 

Könntest du ein paar Worte zur Institution sagen, bei der du arbeitest?

Das Museum Europäischer Kulturen ist ein Zusammenschluss aus dem alten Museum für Volkskunde mit der Abteilung Europa des ethnologischen Museums. Grund für diesen Zusammenschluss war unter anderem die europäische Öffnung Deutschlands. Der Ansatz des Museums ist der, dass wir nicht versuchen, europäische Ethnien mit ihrem angeblich Typischen darzustellen, sondern dass wir uns tatsächlich bemühen, thematische Schwerpunkte zu schaffen und die an verschiedenen europäischen Beispielen festzumachen. Jetzt arbeiten wir gerade am Konzept für eine Dauerausstellung. Das ist ein sehr schwieriges Unterfangen, aber für europäische Ethnolog_innen eine ganz spannende Sache: Wie kann man europäische Phänomene der Kultur und der Lebensweisen der Menschen vermitteln? Das ist ganz ganz schwierig, wenn man darauf verzichten möchte, so genannte Ethnien darzustellen. In unserer jetzigen Ausstellung stellen wir beispielsweise einzelne Objekte in den Mittelpunkt und umgeben diese mit einem Objektkosmos, der etwas sagt zu Herstellung des Objektes, zum Gebrauch; oder auch assoziativ.

 

Was ist  deine Funktion im Museum? Wie sieht dein Berufsalltag aus?

Ich bin eine von fünf wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen, von denen übrigens alle Europäische Ethnolog_innen sind. Wir haben im Museum siebzig große Bestandsgruppen, und jeder und jede von uns hat bestimmte Bestandsgruppen zu betreuen. Das sind bei mir unter anderem die Metallsammlung und diverse kleinere Bestandsgruppen; spezialisiert bin ich aber auf die photographischen Sammlungen. Hier haben wir zum einen ethnologisch-ethnographische Photos, die verschiedene Regionen beleuchten, aber auch Kleidung, Wohnverhältnisse, aber auch Sehenswürdigkeiten, Landschaften und so was.

Wie haben aber auch noch eine ganz spezielle Sammlung an privater Photographie. Damit ist etwa Anlassphotographie gemeint: Wenn Leute früher ins Atelier gingen zur Taufe des Kindes, zur Verlobung, zur Hochzeit. Wir haben aber auch privat aufgenommene Photos, jede Menge Knipserbilder, die in der Masse genommen einen wahrhaftigeren Eindruck vermitteln als es Zeitschriften könnten: etwa Modezeitschriften, die ein tolles Modebild propagieren, oder künstlerische Photographien, die immer auch abstrahieren.

 

Was heißt das, wenn Du sagst, Du bist für diesen bestimmten Bestand verantwortlich? Was machst du da genau?

Das heißt zum einen, dass ich diesen Bestand konservatorisch betreue, also dafür sorge, dass die Aufbewahrung richtig funktioniert. Das ist als Wissenschaftlerin nicht meine Hauptaufgabe, aber dafür muss ich auch sorgen. Außerdem müssen die Neuzugänge aufgenommen, also inventarisiert werden. Das heißt, sie kommen erst einmal in eine Datenbank; dann müssen die Objekte katalogisiert, also wissenschaftlich beschrieben werden. Alle Daten, die wir über ein Objekt in Erfahrung bringen können, werden notiert: Vom Vorbesitzer bis zum Dargestellten, und auch die Technik, die verwendet wurde. Das ist die Basisarbeit. Dann kommt es aber darauf an, die Sachen inhaltlich zu erschließen,  also beispielsweise das Photo als visuelle Quelle und Dokument für Ausstellungen und Forschungszwecke zu nutzen.

 

Welche Rolle spielst du, wenn eine neue Ausstellung konzipiert wird? Wie viel Handlungsspielraum hast du dabei?

Es gibt eigentlich zwei Arten von Ausstellungen: Einmal gibt es die Sonderausstellungen, die eine einzelne Person von uns macht. Dann gibt es Ausstellungen, an denen alle mitarbeiten. Auch die Konzeption wird dann von allen gemacht. Wir sind jeweils Kurator_innen für bestimmte Bestandsgruppen, gleichzeitig haben wir aber auch spezielle Themenschwerpunkte, die wir wissenschaftlich betreuen. Bei mir sind das eben unter anderem die Photos, also private Photographie, ethnographische Photographie und die Geschichte der visuellen Ethnographie; dazu mache ich auch Tagungen und betreue Kommissionen und Fachgruppen. Außerdem mache ich Tourismus- und Ernährungsforschung. Wenn wir also etwa eine Dauerausstellung zu Kulturkontakten und Kulturaustausch in Europa machen, spielt natürlich auch das Reisen eine Rolle, und das ist dann meine Aufgabe. Wir arbeiten also einerseits alle am Gesamtkonzept, andererseits hat jeder noch seine Schwerpunkte.

 

Also handelt es sich um eine Tätigkeit, die sehr nahe an der Wissenschaft dran ist?

Ja. Im Moment rückt das Forschen wieder sehr in den Vordergrund bei uns, das freut mich sehr. Denn einige Jahre mussten wir sehr viel Öffentlichkeitsarbeit machen. Das ist natürlich sehr wichtig, aber es gäbe jede Menge Leute, die sich darum wunderbar kümmern könnten, aber die müssten dann natürlich extra bezahlt werden. Aber so kommen die Basisarbeit und die wissenschaftliche Arbeit manchmal zu kurz. Aber wir arbeiten natürlich schon wissenschaftlich, das ist auch unser Anspruch; daher arbeiten wir auch mit dem Institut für Europäische Ethnologie zusammen.

 

In deinem Fall sind die Verbindungen zwischen dem Fach Europäische Ethnologie und deiner Tätigkeit ja sehr eindeutig gegeben. Möchtest du hier trotzdem noch auf etwas bestimmtes hinweisen? Und was musstest du dir über die Studieninhalte hinaus selbst aneignen?

Bei mir war es so, dass ich zuerst angefangen habe, in einem Museum zu arbeiten. Dann habe ich parallel Europäische Ethnologie – damals noch Ethnographie – im Fernstudium an der Humboldt-Uni studiert. Daher hatte ich keine solchen Probleme damit, die wissenschaftlichen Fachkenntnisse in die Museumsarbeit zu überführen.

Für die Absolventen der Universität ist das ja oftmals das Problem, dass Sie zwar das Fachwissen haben und wissen, wie sie theoretisch mit den Objekten im Museum umzugehen haben. Aber damit weiß man noch lange nicht, wie man sie so einsetzen kann, dass man den Besuchern eine Idee wirklich vermitteln kann, und zwar in erster Linie am Objekt und nicht schriftlich. Das muss man in seiner gesamten Museumspraxis immer wieder lernen, da sich auch die Wahrnehmungsgewohnheiten der Besucher_innen verändern. Die Museen haben sich ja auch verändert. Man muss immer versuchen, sich in die Position des Besuchers hineinzuversetzen, der das alles verstehen muss. Und dabei gibt es ja nicht den einen Besucher, sondern es gibt die unterschiedlichen Bildungsmilieus, sozialen Herkünfte, Altersgruppen, regionalen Herkünfte, und alle sehen das irgendwie anders. Das ist oft die Schwierigkeit für Fachleute: dass sie zwar tolle Fachleute sind, sich aber nicht so leicht auf die Besucher_innen einstellen können. Das muss man erst lernen.

 

Was sollte man denn als Europäische Ethnologin mitbringen bzw. was muss man lernen, wenn man im Museumsbereich arbeiten möchte?

Im Museumsbereich ist es überwiegend noch üblich, dass der Kuratorenbereich von der Arbeit mit den Beständen nicht total getrennt ist, zumindest in den kleineren und mittleren Museen. Daher sollte man das Interesse für Objekt gewordene Alltagskultur mitbringen, man muss also Spaß an den Objekten haben, die den Alltag dokumentieren. Außerdem auch eine gewisse Akribie, weil man so viele Fakten wie möglich zu dem jeweiligen Objekt herausfinden muss, und weil man die Objekte auch fachgerecht verwahren muss. Und jede Menge Kreativität. Das ist das Schönste an diesem Beruf: Dass man auf der einen Seite diese Basis schafft, indem man diese Objekte anhäuft, bewahrt und dokumentiert. Und auf der anderen Seite kann man aus dem Nicht heraus – es gibt ja keine Vorgaben – eine Ausstellung schaffen. Und wichtig ist auf jeden Fall auch ein gewisses Maß an Idealismus; in diesem kreativen Bereich ist es eben auch so, dass man doch oft sehr lange arbeitet und  Überstunden macht, weil man ja auch will, dass die Ausstellung schließlich gut wird. Es geht aber auch darum, sich wissenschaftlich auszutauschen, Tagungen zu organisieren, Kommissionen zu bilden, Bindungen quer durch Deutschland und möglichst darüber hinaus aufzubauen und aufrecht zu erhalten. Organisatorisches und vor allem Fachliches ist also auch wichtig.