Humboldt-Universität zu Berlin - Institut für Europäische Ethnologie

Bühnen der Macht

Zur Inszenierung des Berliner „Regierungsviertels“ als Repräsentationsraum
Förderlaufzeit: 1999 – 2001
Förderinstitution: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) / Schwerpunktprogramm 1000

 

Mit dem »Umzug der Hauptstadt« von Bonn nach Berlin ist das Experiment verbunden, einen Ort politischer Macht erneut zur Bühne deutscher Politik herzurichten, zum zukünftigen Schauplatz der »Berliner Republik«. Der »Umbau« Berlins erschöpft sich keineswegs in Infrastrukturmaßnahmen, stadtplanerischenEntscheidungen und Neubauprojekten, sondern vielmehr wird seit dem Beschluß des Bundestages von 1991 die Stadt vor allem in kultureller und imaginativer Hinsicht zur Hauptstadt umgestaltet.

Das Forschungsprojekt verfolgt mit ethnographischen Mitteln diesen Prozess des symbolischen Umbaus. Der Blick ist dabei vor allem auf die komplexen Deutungsprobleme fokussiert, die mit dem Regierungsumzug einhergehen. Das Forschungsprojekt will die mentale Produktion von Hauptstadtbildern, die rhetorische und inszenatorische Uminterpretation des Stadtraums, die Konstruktion historischer (Dis-)Kontinuitäten von Orten und Gebäuden sowie die kampagnenhafte Inszenierung und Festivalisierung des Umzugsvorgangs unter die Lupe nehmen.

Berührt sind damit Fragen der Umarbeitung von Geschichtsbildern und kollektivem Gedächtnis, der Produktion von nationalen Bedeutungen und Sinnstiftungen, der Errichtung von kollektiven Erinnerungsorten und Repräsentationssymbolen. Sozial geraten vor allem Politik- und Fachdiskurse lokaler, deutscher und in gewissem Maß auch europäischer Meinungs- und Funktionseliten ins Blickfeld, die mit der Neuinszenierung des Berlin-Bilds der Stadt die Aura einer Hauptstadt geben wollen.

Der Prozess des Umbaus verläuft nicht konfliktfrei. Schon die Frage, was die »Repräsentativität« einer Hauptstadt ausmacht und mit welchen Mitteln das »Hauptstädtische« ausgestellt werden soll, ist umstritten. Umso mehr wird um Nutzungsvisionen einzelner Stadtbezirke und städtischer Orte gerungen.

Hierbei sind zwei sich ergänzende Strategien zu beobachten: Zum einen wird versucht, durch eine »Politik der historischen Legitimation« die Plausibilität der Umbaukonzepte herzustellen. Berlin wird als Geschichtslandschaft (um-)gedeutet, in die Bilder, Ereignisse, Persönlichkeiten der lokalen, deutschen und auch europäischen Geschichte eingelesen werden. In diesem Prozess der (Neu-)Formierung eines kollektiven Gedächtnisses konkurrieren unterschiedliche Gruppen miteinander darum, die richtige Lesart der Stadtlandschaft durchzusetzen, um ihren Zukunftsvorstellungen die nötige Einsichtigkeit zu verleihen.

Zum anderen werden die gewonnenen Bilder mit Hilfe einer »Politik der rituellen Inszenierung« zur Darstellung gebracht. Durch diese Strategie wird den Formationen des aktualisierten kollektiven Gedächtnisses der nötige Grad an Anschaulichkeit und Verbindlichkeit verliehen. Durch zeitlich begrenzte Ereignisse wird die Zukunft der Hauptstadt Berlin so in die gegenwärtige Stadtlandschaft »hineininszeniert«, daß die Entwicklung dahin als selbstverständlich oder sogar wünschenswert erscheint. Umzüge, Stadtführungen, »Schaustellen«-Sommer, aber auch Demonstrationen und Gegenveranstaltungen mit ihren je eigenen Regeln und ästhetischen wie sozialen Praxen tragen dazu bei, den diskursiv gewonnenen Korpus von Bildern und Deutungen zu dramatisieren und »Wirklichkeit« an der Schnittstelle von Vergangenheit und Zukunft zu konstruieren und zu formieren.

Das Projekt wurde gefördert im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms 1000 »Theatralität – Theater als kulturelles Modell in den Kulturwissenschaften«.

 

Franziska Becker, Beate Binder "Bühnen der Macht" Stadtethnologische Perspektiven auf die Hauptstadtwerdung Berlins Aus: humboldt spectrum 3-4(2001), S. 112-119. (Projektbericht PDF)