Humboldt-Universität zu Berlin - Institut für Europäische Ethnologie

Identitätspolitiken im Südkaukasus

Nationale Repräsentation, postsozialistische Gesellschaft und urbane Öffentlichkeit
Förderlaufzeit: 2004 – 2013
Förderinstitution: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) / SFB 640

 

Untersucht werden in desem Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs 640 „Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel“ ethnische und nationale Identitätspolitiken in Armenien, Aserbaidschan und Georgien – also in einer aktuellen Konflikt- und Krisenregion. In den drei Gesellschaften überlagern sich die Wirkungen globaler und geopolitischer Orientierungsprobleme mit Fragen postsozialistischer Gesellschafts- und nationaler Identitätspolitik auf unterschiedliche, jedoch immer wieder auf konflikthafte und dramatische Weise. Dabei werden Aushandlungsprozesse nationaler Identitätspolitiken und „genealogischer“ Zugehörigkeit sowohl im lokalen als auch im globalen Kontext konkurrierend verortet.

Die drei Hauptstädte Yerevan, Baku und Tbilissi sind Hauptstädte dieser Region und zugleich die „Bühnen“, auf denen dieser Konflikt strategisch organisiert und inszeniert wird: über Geschichtspolitik und mediale Diskurse, über Selbst- und Fremdbilder, über Popkultur, Symbole und Denkmäler. In ausgewählten städtischen Orten werden Prozesse der Rekonstruktion der Gedenkkultur, der Rekonfiguration des kulturellen Erbes und religiöser Identitäten bei lokalen Eliten, Stadteinwohnern und neuen „Fremden“ (Flüchtlinge, Expats, Diaspora) analysiert. Zentrale Fragen der ethnologischen Untersuchung sind: Wie wird im Zustand einer spatial disorder nationale und ethnische Einheit identitätspolitisch im öffentlichen Raum inszeniert und rezipiert? Wie definieren und handeln verschiedene Akteure mittels dieser Repräsentationen soziale Ordnung neu aus?

Repräsentationen werden dabei als Symbole, Konfigurationen und Praxen betrachtet, in denen identitätspolitische Positionen alltäglich formuliert, kommuniziert und legitimiert werden. Deshalb spielen hier Orte, Inszenierungs- und Performanzpraktiken in unterschiedlichen sozialen Kontexten eine wesentliche Rolle.

Die Region wird in zwei Untersuchungseinheiten Armenien/Aserbaidschan und Georgien aufgeteilt. Sowohl in Jerewan als auch in Baku soll insbesondere die Frage nach der sozialen Konfiguration und kulturellen Konstruktion nationaler Gedenk- und Trauerkulturen bearbeitet werden, die in den beiden Stadtlandschaften neue symbolische Zuordnungen vollzieht. In Tbilissi wird vor allem der Rekonfiguration nationaler Repräsentationen des „Georgischseins“ nachgegangen auch im Kontext ethnischer und religiöser Diversität am Beispiel armenischer und aserbaidschanischer Minderheiten.

Als Quellengrundlagen dienen mehrmonatige Feldforschungen in städtischen Quartieren der drei Hauptsstädte Tbilissi, Baku und Yerevan. Methoden wie die Teilnehmende Beobachtung, Wahrnehmungsspaziergänge und Interviews werden durch Archivarbeiten, Architektur- und Denkmalstudien, Text- und Diskursanalysen ergänzt und in einer verdichteten Ethnographie verbunden. Bilder und Plakate, urbane Feste und nationale Feiertage, Experteninterviews und Alltagsgespräche in privaten Räumen, Filme und Werbung bilden so die unterschiedlichen Quellen der Untersuchung. Damit eröffnen ethnographischen „Nahaufnahmen“ tiefere Einsichten in die Technik, Inszenierung und strategische Umsetzung der Identitätspolitiken wie auch in die postsozialistischen Dynamiken des Wandels von Alltagswelten. Das Forschungsprojekt leistet damit einen Beitrag sowohl zu einer kritischen regionalwissenschaftlichen Forschung als auch zur Ethnologie postsozialistischer Städte.

 

Publikationen

  • Tsypylma Darieva, Wolfgang Kaschuba, Melanie Krebs (Hg): Urban Spaces after Socialism. Ethnographies of Public Places in Eurasian Cities. Campus, Frankfurt am Main / New York 2011.
  • Tsypylma Darieva, Wolfgang Kaschuba (Hg): Representations on the Margins of Europe. Politics and Identities in the Baltic and South Caucasian States. Campus, 2007.
  • Tsypylma Darieva: From Silenced to Voiced. Changing Politics of Memory of Loss in Armenia. In: Tsypylma Darieva, Wolfgang Kaschuba (Hg): Representations on the Margins of Europe. Campus, 2007. S. 65-88
  • Tsypylma Darieva: Russlanddeutsche, Nationalstaat und Familie in transnationaler Zeit. In: Sabine Ipsen-Peitzmeier, Markus Kaiser (Hg.): Zuhause fremd. Russlanddeutsche zwischen Russland und Deutschland, Transcript Verlag, Bielefeld 2006.