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Zwischen Leistungsidealen und zivilgesellschaftlicher Positionierung

Ethnographie eines (post-) migrantischen Privatgymnasiums in Berlin
Laufzeit: 07/2012 – 06/2013

 

Das Projekt untersuchte im Schuljahr 2012/2013 den schulischen Alltag des Tüdesb-Privatgymnasiums in Berlin-Spandau sowie die Positionierung des Trägervereins in der Stadt. Es arbeitete hierdurch die politischen Kontexte und sozialen Interaktionsfelder dieser von türkischen Einwanderern gegründeten Privatschule heraus.

Warum gründen türkische Einwanderer in Berlin ein Privatgymnasium? Welche Schülergruppen werden durch dieses neue Angebot auf dem Bildungsmarkt angesprochen? Welche Rolle spielen Religion, ethnische oder kulturelle Identitäten und pädagogische Ideale im Schulalltag? Und wie interagiert diese Schule mit politischen Gremien oder der Stadtgesellschaft?

Solchen Fragen gingen Alik Mazukatow, Jens Adam und Wolfgang Kaschuba in Zusammarbeit mit dem Schul-Trägerverein Tüdesb e. V. nach. Gesellschaftliche Debatten zu Migration und Intergration, zur Privatisierung von Bildung sowie die Bindung des Trägervereins an die transnationale, religiös motivierte Bewegung des muslimischen Predigers Fetullah Gülen stellten relevante Rahmenbedingungen der Untersuchung dar.

Alik Mazukatow nahm den Alltag dieser primär von türkischstämmigen Jugendlichen besuchten Schule in den Blick. Auf Basis einer teilnehmenden Beobachtung des Unterrichts und von Interviews konnte er aufzeigen, dass es weniger „Religion“, sondern vielmehr eine kollektive Wertschätzung von Aufstiegs- und Leistungsidealen ist, die diese Schule bestimmt und zusammenhält. Trotz umfangreicher Diskriminierungserfahrungen der Schüler_innen erwies sich der meritokratische Glaube, dass Leistung sich auch auszahlt, als besonders wirkmächtig. Als zweiten Schwerpunkt analysierte er Prozesse der Gemeinschaftsbildung, die partiell auf ethnischen oder kulturellen Momenten, gleichfalls aber auch auf den institutionellen Arbeitsformen der Schule – etwa Kleingruppenarbeit, Benotungen usw. – aufbauen.

Jens Adam konzentrierte sich auf Formen der Interaktion des Trägervereins mit der urbanen Zivilgesellschaft. Hierzu analysierte er einerseits die zum Teil kritische, zum Teil wohlwollende mediale Berichterstattung zu solchen Bildungsinitiativen als eine Rahmenbedingung für das Engagement eines (post-)migrantischen Vereins. Andererseits arbeitete er unterschiedliche Strategien zivilgesellschaftlicher Positionierung heraus, durch die sich der Verein um Partizipation und Sichtbarkeit in der Stadtgesellschaft bemüht. Vor diesem Hintergrund werden sowohl die Potentiale als auch die Widerstände, auf die das Engagement von Zuwanderen in der „Mehrheitsgesellschaft“ stoßen kann, deutlich. Zivilgesellschaft zeigt sich als ein dynamischer Prozess, dessen Gestaltung gerade durch urbane Initiativen und Interaktionsfelder verläuft.