Humboldt-Universität zu Berlin - Institut für Europäische Ethnologie

Politik

 

Da können Ethnolog_innen durchaus mit Politikwissenschaftler_innen mithalten, eben aus einer anderen Perspektive.

Wanda Hummel arbeitet im Bundestag, als wissenschaftliche Mitarbeiterin eines Bundestagsabgeordneten. Davor hat sie Europäische Ethnologie, Theaterwissenschaft und Kulturelle Kommunikation an der Humboldt-Universität studiert. Als Quereinsteigerin und Elternzeitvertretung ist sie nach Studium (und Urlaub) in die Bundestagsstelle hineingerutscht, wie sie selbst sagt. Zu unserem Gespräch trafen wir uns im Internet: das Interview ist Ergebnis einer E-Mail-Kommunikation.

Das Interview führte Julia Roßhart.

 

Wo arbeitest Du und welche Tätigkeit übst Du dort aus?

Ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin eines Bundestagsabgeordneten im Bundestag. Der Bundestag ist das deutsche Parlament, das heißt, er umfasst die gewählten politischen VertreterInnen verschiedener Parteien, ihre MitarbeiterInnen sowie jede Menge Personal in der Verwaltung, Technik, im Protokoll, in den Fraktionen, im Presseamt und so weiter. Er ist Teil der demokratischen Legislative, d.h. die Hauptaufgabe der Abgeordneten ist es, Gesetze, Gesetzestexte, Richtlinien und andere rechtliche Regelungen weiterzuentwickeln, zu reformieren oder neu zu gestalten. Bei all diesen Verhandlungen und Entscheidungen müssen möglichst viele Interessen beachtet und gewahrt werden.

Als wissenschaftliche Mitarbeiterin eines Abgeordneten bin ich erstmal unabhängig von der großen Institution, denn wir sind ein kleines Team, das nur dem Mitglied des Deutschen Bundestages (MdB) zuarbeitet. Ich bin hauptsächlich für drei Aufgabengebiete verantwortlich: Erstens für die inhaltliche Zuarbeit: Recherchen zu bestimmten Themen, Terminvorbereitungen, Gremien- und Ausschussvorbereitung, Bewertungen und Analysen. Zweitens für die Textarbeit, also Redenschreiben, Grußworte und Artikel verfassen oder BürgerInnenbriefe beantworten. Und drittens mache ich die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, verfasse also Pressemitteilungen, organisiere Interviews, plane Veranstaltungen etc.

Auch wenn ich vorher schon in der politischen Bildung gearbeitet habe, so ist Politik (im konkreten Sinne, also Parlaments- und Regierungsarbeit) eigentlich nicht mein Traum-Berufsfeld. Ich werde mich jetzt irgendwo zwischen Pressearbeit, soziokulturelle Vereinsarbeit  bzw. außerparlamentarische Interessenvertretung (NGO) und Kulturmanagement umschauen.

 

Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?

Da ich als Teilzeitkraft arbeite, habe ich eher flexible Arbeitszeiten. In den Sitzungswochen – wenn das Parlament tagt und mein Chef in Berlin ist – arbeite ich in der Regel ab mittags bis z. T. lange in den Abend hinein, je nach Bedarf. In Wahlkreiswochen – wenn mein Chef in seinem Wahlkreis ist – bin ich eher tagsüber da und kann dann früher gehen.

Meistens beginne ich mit einer Presseschau – um genau mitzuverfolgen, welche Themen gerade wie und von wem diskutiert und wer oder was an diesem Tag wichtig werden könnte; den Presseticker muss ich daher auch den ganzen Tag verfolgen. Dann kann es sein, dass noch eine Recherche oder Ausarbeitung zu einem Thema fertig zu stellen ist – manchmal zieht sich das über mehrere Tage hin. Oder ich bereite Termine vor, die demnächst anstehen: Besuche in Kindergärten, Treffen in bestimmten Arbeitskreisen, BürgerInnensprechstunden zu Hartz IV usw. Meistens kommt dann auch noch kurzfristig viel „rein“ – ein Brief, eine Anfrage, ein Anruf etc., zu dem schnell eine Einschätzung oder inhaltliche Vorlage erstellt werden muss. Leider bleibt nur selten die Zeit, meinen Chef auch zu Sitzungen von Arbeitskreisen u.a. zu begleiten.

 

Was hast Du zum Beispiel gestern gemacht?

Gestern habe ich zunächst angefangen, aufgrund eines Zeitungsartikels in der lokalen Wahlkreispresse über ungerechte Kinderzuschlag-Anträge zu recherchieren: Was ist der Kinderzuschlag genau? Wer kann ihn beantragen? Zu welchen Bedingungen? Was gilt für den Betroffenen? Daraus habe ich eine Vorlage geschrieben. Daraufhin musste ich ein Schreiben an eine Bürgerin zur Rentenangleichung Ost-West aufsetzen; da ich dafür den genauen Wortlaut eines Bundesverfassungsgerichtsurteils gebraucht habe, habe ich recherchiert, herumtelefoniert …

Im Anschluss stand der wöchentliche Newsletter auf dem Programm: einen ersten Entwurf anfertigen, Themen vorschlagen, die in dieser Woche wichtig und entscheidend waren oder zu denen man sich positionieren sollte.

Dann wollte mein Chef mit mir seine Strategie absprechen, da Interessenverbände und das Ministerium gerade über eine spezielle Regelungen im Bereich der Finanzierung von Gesundheitsversorgung (ist schon waschechtes PolitikerInnendeutsch!) verhandeln; also musste abgewogen werden, was geht, welche Position wir vertreten und welche nächsten Schritte unternommen werden. Und schließlich gab es noch einen Termin am Folgetag, für den ich Informationen zusammenstellen, einen Kommentar schreiben und einige Fragen entwickeln musste. Außerdem mussten meine Kolleginnen und ich einige JournalistInnen anrufen, um sie zu diesem Termin zu kriegen.

Zum Ausklang habe ich dann noch versucht, den Zeitungen- und Zeitschriftenstapel, der sich auf meinem Schreibtisch türmt, abzubauen – alle Verbände und Vereine schicken ihre Zeitschriften an die Abgeordneten und ich muss gucken, ob etwas für uns Interessantes drinsteht.

 

Welche Verbindungslinien siehst Du zwischen dem Studium und deiner jetzigen Tätigkeit?

Als Ethnologin der eigenen Kultur handelt man natürlich immer auch im politischen Bereich. Das ist vielleicht der Anknüpfungspunkt. Und einige Themen wie Migration, Geschlechterverhältnisse, Familienvorstellungen und Bildung werden ja auch politisch intensiv diskutiert.

 

Inwiefern kannst Du Wissen und Fähigkeiten aus dem Studium der Europäischen Ethnologie in deinem Berufsfeld anwenden?

Also erst einmal offene Augen und Ohren für gesellschaftliche Prozesse zu haben - damit man mitbekommt, wo es klemmt und wo gehandelt werden muss. Außerdem Einfühlvermögen bzw. zwischenmenschliches Gespür und Kommunikationsgewandtheit. Das hatte ich durch die Feldforschung  und durch Interviews trainiert – und es hat mir geholfen, wenn es zum Beispiel darum geht, Zielgruppen zu erreichen und die richtigen Botschaften in der richtigen Form erfolgreich rüberzubringen. Gerade bei der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit kann ich darauf zurückgreifen.

Außerdem habe ich das Recherchieren gelernt, und zwar nachfragesicher, also mit handfesten Quellen und einer Bewertung, Einschätzung und Abwägung der Daten. Da können EthnologInnen durchaus mit PolitikwissenschaftlerInnen mithalten, eben aus einer anderen Perspektive. Besonders wichtig ist mir dabei immer, dass man viele Sichten auf ein Thema hat, diese reflektiert und dass man auch „hintergründige“ Aspekte wie Macht, Geschlecht etc. mit bedenkt. Das stammt wohl eindeutig aus der ethnologischen Schule.

Ich habe schon immer gerne geschrieben, das Studium hat mir den Raum dazu gelassen und nun kann ich es direkt bei ganz unterschiedlichen Textgattungen anwenden: Reden (sehr spannend!), Artikel (etwas undankbar, da ja am Ende nicht mein Name druntersteht), Pressemitteilungen, Grußworte, Briefe (deren Sprache manchmal zweideutig oder aber unmissverständlich sein muss …), …

Und last but really not least: Man kann sich immer wieder in die Position der Beobachterin zurückziehen, war für mich eine Art Schutz oder Hilfe in schwierigen Situationen ist. Es ist manchmal wirklich amüsant und wohltuend, das ganze Geschehen – im Büro, mit KollegInnen oder dem Chef, in dieser Riesen-Verwaltung, im Parlament und allen seinen Hinterzimmern – aus den Augen einer Feldforscherin zu sehen. Mit Neugier aber eben auch einer gesunden Distanz. Das bringt einen wieder auf den Boden. (Funktioniert aber wahrscheinlich nur, wenn es nicht der Traumjob ist.) Das habe ich übrigens auch schon von anderen fertigen Ethnolog/innen gehört – scheint mir eine gute Strategie, die ersten, harten Hürden des Berufslebens zu nehmen.

 

Was musstest Du dir ganz neu aneignen?

Neu war, dass ich mich unglaublich schnell und unter Zeitdruck in ziemlich komplexe und komplizierte Sachzusammenhänge einarbeiten musste. Zum Beispiel: „Mach mal was zur Unternehmenssteuer bis in 90 Minuten.“ Vorher nie was davon gehört … . Natürlich gibt es dafür Hilfsmittel, aber es ist dennoch eine schwierige Aufgabe. Da vermisse ich die Zeit, Ausführlichkeit, Intensität und Langsamkeit der Wissenschaft.

Außerdem musste ich lernen, sehr kalkuliert und strategisch zu handeln: Den Schein wahren können, verhandeln, Menschen warten lassen, Machtspielchen mittragen usw. Nicht immer einfach. Ich habe einiges mitgenommen an Wissen über und Gespür für Politik sowie die Abläufe, Möglichkeiten, Risiken in einer Demokratie.

Und ich musste lernen, wie man knackige Pressearbeit macht, denn: Gesetzestexte sind einfach schrecklich unsexy … die muss man gut vermitteln. Schließlich musste ich mir viel Vokabular, parlamentarische Abläufe und Konventionen (obwohl man die meiner Meinung nicht alle einhalten sollte!) anlernen.

 

Welche Interessen und Kompetenzen spielen deiner Meinung nach für dein Berufsfeld eine große Rolle?

Man braucht eine schnelle Auffassungsgabe und Wachheit. Und man muss wissenschaftlich recherchieren können und sprachlich gewandt sein, sowohl schriftlich wie auch am Telefon. Wichtig ist zudem, sich in Menschen hineinversetzen zu können, und zwar sowohl in BürgerInnen als auch in die Abgeordneten – schließlich trägt man dazu bei, ihnen ein Profil zu geben oder schreibt Texte für sie, die ihnen entsprechen müssen. Außerdem sollte man Interesse für Politik und politisches Geschehen – mitsamt Parteiarbeit, Veranstaltungsmanagement, Kampagnen etc. – haben, um sich mit dem ganzen „Projekt“ zu identifizieren. Denn ohne persönliche Begeisterung macht jede Arbeit wenig Spaß und wird selten wirklich gut.