Humboldt-Universität zu Berlin - Institut für Europäische Ethnologie

Sexuelle Moderne und Wahn

Die Figur der ver-rückten Frau in der urbanen Bohème 1890–1933
Förderlaufzeit: 03/2009 – 05/2012
Förderinstitution: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) / Forschergruppe 1120
Webseite: kulturen-des-wahnsinns.de

 

Das Teilprojekt E der Forschergruppe "Kulturen des Wahnsinns. Schwellenphänomene der urbanen Moderne (1870–1930)" situiert sich an der Schnittstelle einer ersten ‚sexuellen Revolution’ und einer zeitspezifischen (Psycho-) Pathologisierung von Weiblichkeit. Mit Figurationen wie weiblicher Freigeisterei und der ‚Ver-rückten Bohèmienne’ betraten Autorinnen, Künstlerinnen und Frauenrechtlerinnen die Bühne öffentlicher Wahrnehmung, die sich historisch erstmalig als souveräne Akteurinnen eines eigenen Persönlichkeitsentwurfs autorisierten. Männliche Gegendiskurse, solcherart Lebensstilrebellionen als Wahn zu pathologisieren, trafen jedoch nicht auf passive Opfer. Stattdessen wurde die Wahnsinnsetikettierung ironisch besetzt, resignifiziert, demonstrativ und performativ ausagiert und dissidentisch produktiv gemacht. Aus historisch, klassenmäßig, professionell und subjektiv unterschiedlichen Feldern stammend gruppieren sich zudem alle Figurationen ‚ver-rückter Frauen’ um eine Rhetorik von sexueller Moderne, die ihre Arenen in Caféhäusern, Ateliers, frauen- und sexualreformerischen Zirkeln und den vielfältigen Szenen städtischer Amüsierkultur fand. Diese sehr unterschiedlichen Kulturen urbanen ‚Wahn-Sinns’ sollen als Schwellenphänomene eines sich herauskristallisierenden neuen Weiblichkeitsdiskurses gelesen werden, der oszilliert zwischen einem weiterhin komplementären Geschlechtercode und einer entsprechend essentialisierten ‚Neuen Frau’ und einem performativen Modell, das ‚Weiblichkeit als Maskerade’ in Szene setzt. Sexualität ist dabei als ‚Script’/Signatur einer weiblichen Moderne zu verstehen.