Humboldt-Universität zu Berlin - Institut für Europäische Ethnologie

Patrick Wielowiejski

Rechtspopulismus und Homosexualität. Eine Ethnografie der Feindschaft

Betreuung: Prof. Dr. Beate Binder, Prof. Dr. Sabine_ Hark

Promotionsstipendium der Heinrich-Böll-Stiftung (2016-2020)

Vorbereitung des Promotionsvorhabens gefördert durch das Research Track Scholarship der Humboldt Graduate School

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Abstract

Äußerst rechte Parteien in Westeuropa beginnen zunehmend, als Verteidigerinnen liberaler
Werte in Erscheinung zu treten, wie zum Beispiel der Akzeptanz von Homosexualität. Dieser Diskurs
stellt einen historischen Bruch dar: Wird im traditionellen Nationalismus Homosexualität an sich für
problematisch gehalten, weil Homosexuelle das zentrale Projekt der Reproduktion der Nation
unterwandern, so scheint sich dieses Bild in äußerst rechten Bewegungen und Parteien zu
aktualisieren. Nicht mehr der*die Homosexuelle selbst wird abgelehnt, sondern die Förderung von
Lebensmodellen, die zu stark von der Heteronorm abweichen (die Homosexuelle durchaus erfüllen
können). Gleichzeitig werden Homosexuelle von rechts verstärkt als potenzielle Opfer einer
vermeintlichen ‚Islamisierung‘ Europas in den Blick genommen und so nicht nur umworben, sondern
auch selbst in rechten Parteien politisch aktiv.

Die Arbeit nimmt diese scheinbaren Widersprüche zum Ausgangspunkt für die Frage, wie Homosexualität in der „Alternative für Deutschland“ (AfD) diskutiert, begründet und in national eingefärbte Selbstbilder eingebunden wird. Wie verhält sich das (behauptete) neue Eintreten für die (behaupteten) Interessen von Homosexuellen zum Konservatismus rechtspopulistischer Parteien, gerade in den Bereichen der Geschlechter- und Sexualpolitik? Wie gehen diese Parteien mit ihren scheinbar widersprüchlichen Positionen in diesem Feld um? Auf welche Arten und Weisen werden Homosexuelle in rechtspopulistische Formationen integriert – und welche neuen Ausschlüsse werden dadurch produziert? Die Analyse stützt sich auf teilnehmende Beobachtungen und Interviews in der AfD (2017–2019) sowie Textmaterial aus dem rechtspopulistischen, nationalkonservativen und neurechten Spektrum.

Theoretisch-konzeptionell fragt die Arbeit nach dem politischen Imaginären der gegenwärtigen populistischen Rechten, das heißt nach dem kollektiv geteilten Bild, das sich die Rechte von sich selbst und ihrem Verhältnis zu anderen in der Welt macht. Damit ist nicht eine ,bloße‘ oder gar ,falsche‘ Vorstellung gegenüber einer vermeintlich ,wahren‘ Realität gemeint. Vielmehr zielt die Arbeit darauf, die Wirkkraft eines politischen Imaginären der Feindschaft offenzulegen, das heißt zu zeigen, wie dieses sich in politischer Praxis manifestiert.

Darüber hinaus versteht sich die Arbeit auch insofern als Ethnografie der Feindschaft, als sie danach fragt, was in einer ethnografischen Begegnung mit Menschen passiert, deren politisches Programm die forschende Person für gefährlich hält. Die Logik von Freund und Feind, die die Arbeit aus dem ethnografischen Material herausarbeitet, manifestierte sich nicht nur in den politischen Narrativen und Praktiken der Gesprächspartner_innen, sondern sie lag auch den Interaktionen zwischen ihnen und dem Forscher zugrunde. Damit macht die Arbeit das Problem einer ethnografischen Forschung in ,feindlichen‘ Feldern selbstreflexiv zum Gegenstand und leistet mit dem Konzept des strategischen Agonismus einen Beitrag zu einer wichtigen methodologischen Debatte in der Kulturanthropologie.

 

Schlüsselbegriffe / Keywords

Anthropologie des Politischen, Gender Studies, Queer Studies, Rechtspopulismus, Homonationalismus, conjunctural analysis

 

Curriculum Vitae

07/2023: Promotion zum Dr. phil. am Institut für Europäische Ethnologie, Note: summa cum laude

seit 2021: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Europäische Ethnologie und Koordinator der DFG-Forschungsgruppe „Recht – Geschlecht – Kollektivität“

2016–2023: Doktorand am Institut für Europäische Ethnologie

2014–2015: Studium der Cultural Studies, Goldsmiths, University of London (Abschluss M.A.)

2013–2014: Studium der Gender Studies, Humboldt-Universität zu Berlin

2009–2013: Studium der Germanistischen Linguistik und Gender Studies, Humboldt-Universität zu Berlin und Universität Oslo (Abschluss B.A.)

Kontakt

Patrick Wielowiejski
E-Mail: p.wielowiejski (at) hu-berlin.de