Humboldt-Universität zu Berlin - Institut für Europäische Ethnologie

Migration & Globalisierung

Migration interessiert uns in einer globalen Perspektive. Weltweit sind über 100 Millionen Menschen auf der Flucht. Flucht und Migration sind aber nur bestimmte historische Formen gelebter menschlicher Mobilität auf diesem Planeten. Sie prägen und verändern unsere Gesellschaften grundlegend, durchkreuzen unser soziales Gefüge, haben unsere Alltags- und Lebenswelten längst global verflochten. Weil sie die Norm der Sesshaftigkeit in Frage stellen, sind sie ein widerständiger Faktor - in diesem Sinne und verstehen wir sie als Quelle und eine Aufforderung, unser gesellschaftliches Zusammenleben immer wieder neu zu denken, zu leben und zu erfinden. Gleichzeitig ist Migration ein Streitfall und steht im Zentrum von Auseinandersetzungen, die von lokalen, nicht selten rassistisch geprägten Konflikten im urbanen Raum über die Verfasstheit von Staaten bis hin zu globalen Rechtsordnungen und geopolitischen Konflikten reichen. Migration lehrt uns, was uns gesellschaftlich wichtig ist, durchaus auch dort, wo Migration nicht im Zentrum der Auseinandersetzung steht.

Migration hat zur Europäisierung des Kontinents beigetragen und spielt eine wesentliche Rolle im Prozess der Globalisierung. Der Prozess der Europäisierung, die widersprüchliche Entwicklung einer politischen, ökonomischen, kulturellen und sozialen Union in Europa, wirft Fragen nach Gemeinschaften und Grenzen, nach Souveränität und Demokratie auf. Eurokrise, Brexit, Grenzgewalt, Rechtsstaatlichkeit, Internetregulierung, Energie- und Klimapolitik und die neuen Kriege sind nur einige Stichworte, die auf die großen Herausforderungen unserer Zeit und die Modi post- und supranationaler Politik und Vergesellschaftung verweisen. Wir fragen daher nach den neuen Modi des Regierens, nach den politischen, ökonomischen, kulturellen und sozialen Ordnungen, die der Prozess der Globalisierung hervorbringt, und nach dem, was dabei ermöglicht und hergestellt, ausgeschlossen und unsichtbar oder auch zerstört wird. Wir fragen auch nach den neuen Landschaften, in denen digitale Technologien, Finanzialisierung und logistische Phantasien zusammenkommen. Und wir wollen wissen, wie das historische Erbe des Kolonialismus, seiner Gewalt und seiner Wissensordnungen das Verhältnis zwischen Europa und der Welt bis heute strukturiert.
Wir fragen also: Was ist eigentlich Migration, was war sie gestern und was wird sie morgen sein - und mit welchen Begriffen, Bildern und Geschichten denken und sprechen wir über Migration? Warum ist Migration so umstritten, wo doch Menschen schon immer mobil waren und sich Bevölkerungen immer wieder neu zusammensetzen? Wie wird Migration regiert, wie konstituieren und stabilisieren sich Migrations- und Grenzregime, was treibt Migration an und welche Rolle spielen dabei neue, digitale Technologien? Wie kann Migration zur Demokratisierung von Gesellschaften in einer globalisierten Welt beitragen?

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