Humboldt-Universität zu Berlin - Institut für Europäische Ethnologie

Imran Ayata: Jenseits der Sehnsucht: Von singenden Gastarbeitern

Bericht über den Vortrag im Institutskolloquium am 9. Dezember 2014; von Anna Wyss

„In YouTube toben die Enkel der Gastarbeiter“, mit diesem Satz beendet der Referent Imran Ayata eine musikalische Reise durch das Leben von Gastarbeiter_innen in Deutschland. Der studierte Politikwissenschaftler und Autor erzählt in seinem Vortrag eine Migrationsgeschichte so, wie wir sie vielleicht noch nie gehört haben. Alles dreht sich um Musik. Durch Recherche des Referenten Imran Ayata und des Künstlers Bülent Kullukçu ist ein Album entstanden unter dem Titel „Songs of Gastarbeiter“. Gemeinsam ist den zusammengestellten Songs, dass darin Situationen der in Deutschland lebenden Türk_innen beschrieben werden. Die Songs erzählen mal ernsthaft, mal ironisch oder sarkastisch von den Arbeitsbedingungen in Deutschland oder wehmütig von der Sehnsucht nach der Heimat, von Rassismus, täglichen Problemen und Veränderungen, oder vom Aufbau einer neuen Lebenswelt.

Als Erstes stellt uns Imran Ayata den „Godfather“ der Gastarbeitermusik vor. Der gelernte Schlosser Asik Metin Türköz kam 1962 nach Deutschland, doch wollte er nicht weiter in seinem ursprünglichen Beruf arbeiten. So begann er, mit seiner Musik durch Wohnheime zu tingeln. Dabei singt er davon wie es ist, nach Deutschland zu kommen. Weiter ist der Autor bei seiner Suche nach Zeugnissen auf einen Song des bei der Aufnahme noch sehr jungen Ata Canani gestoßen. Dieser produzierte bereits in den 60er Jahren sogenannten musikalischen Crossover: Die Mischung von türkischer und deutscher Sprache in den Songtexten transportiert mehr Bedeutung, alsdass es die Lyrics an sich bereits vermögen.

Nun spricht Imran Ayata am Beispiel weiterer Musiker von Selbstethnisierung und Selbststigmatisierung, was in Gastarbeitersongs immer wieder eine Rolle spiele. Dann wird uns ein Lied vorgestellt, worin der sich als Hamburger ausgebender Österreicher Georg Danzer eine Passage auf türkisch singt. „Ein postmigrantischer Song?“, fragt Ayata, vielleicht aber auch ein ironischer Kommentar zu aktuellen Diskussionen in der Kritischen Migrationsforschung, etwa im Labor Migration am Institut. Dann wird in der Zeit weiter vorangeschritten, wenn im Zuge der rassistischen Übergriffe in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda nach der Wiedervereinigung die Angst von Menschen mit Migrationshintergrund auch in der Musik thematisiert wird. Schließlich stellt Ayata am Beispiel eines Hip Hop-Songs das sogenannte „neue Narrativ“ vor, womit heute davon erzählt würde, wie kompliziert es ist, dazu zu gehören. Aber das Spannende und Entscheidende sei – so meint Ayata – wie „differenziert“ wird? Womit wir bei einer der zentralen Fragen angekommen sind, die Forschende, Lehrende und Studierende des Instituts beschäftigt. Denn die Frage eines Schülers – so erzählt Ayata –,was denn ein Gastarbeiter sei, konnte auch er nicht beantworten. Da das Thema der Migration weit über die Grenzen der Einwanderungsgeneration hinaus reicht, wird es im bereits erwähnten Labor am Institut als gesellschaftskonstituierender Gegenstand diskutiert.