Humboldt-Universität zu Berlin - Institut für Europäische Ethnologie

Schwarze Menschen im 17./18. Jahrhundert in Brandenburg-Preußen

Wieviele Schwarze Menschen lebten um 1700 in Brandenburg-Preußen? Wie war ihr sozialer Status? Was bedeutete eine Beschäftigung als "Hof"- oder "Kammerm*"?

 



 

Übersicht über in Brandenburg-Preußen um 1700 lebende Schwarze Menschen

Der Historiker Stefan Theilig (2013: 50 ff. & 99 ff.) hat eine gründliche Archiv- und Literaturrecherche zu "Türken- und Mohrentaufen in Brandenburg-Preußen" zwischen 1565 bis 1800 vorgenommen sowie weitere Belege der Existenz sogenannter "Mohren", die nicht aus Kirchenunterlagen stammen, zusammengetragen. Bis ins erste Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts, also die Zeit der Namensgebung der M*-Straße 1706/7, sind demnach fünfzehn als M* bezeichnete Jungen und Männer sowie zwei sogenannte "Mohrinnen" namentlich bekannt, die in Brandenburg-Preußen lebten:

  • Ebnu/George Adolph Christian (Taufe 1681 in Spandau, "guinesischer" Herkunft; vgl. auch van der Heyden 2008b: 14)

  • Fridericus Theodorius (Taufe 1683 in Potsdam)

  • Ludwig Besemann (erwähnt 1685, "da er die 'Paukenkunst' erlernen soll"; Theilig 2013: 50)

  • Friderich Wilhelm (Taufe 1685 in Potsdam, diente als Kammer-M* beim Kurfürsten; vgl. auch Becker 2012: 17 f.; Lauré al-Samarai 2019, T. 1: 5-46)

  • F. de Lusti (erwähnt 1693)

  • Friedrich Wilhelm (erwähnt 1693)

  • Charlotta (Heirat 1694 in Königsberg, diente als Kammer-M* am Hof)

  • Friedrich Ludwich (Heirat 1694 mit Charlotta, diente als Kammer-M* beim Herzog von Holstein)

  • Friedrich (Taufe 1695 in Kölln, diente als Kammer-M*)

  • Philippus (1698 als "Mohrenkind" in Königsberg beerdigt)

  • Carl Philipps (Taufe um 1700 in Kölln, diente als Kammer-M*)

  • Friedrich Albrecht [Albert] alias A(h)ly (Taufe 1703 in Kölln, diente dem König als zweiter bzw. dritter Kammer-M*)

  • Friedrich Ludwig Wilhelm (erwähnt 1706, Bediensteter)

  • Charlotta Ulrica (Heirat 1706 in Königsberg)

  • Dominicus Ferdinandus Franciscus Antonius Pignatelli (Heirat 1706 in Königsberg mit Charlotta Ulrica, diente beim Herzog von Holstein)

  • Friedrich Carl (Taufe 1708 in Kölln, diente als Kammer-M*)

  • Statius Frieso (erwähnt 1710)

Ergänzend gehört in diese Aufstellung ein Beleg über einen mit dem M*-Wort bezeichneten Maler, den Theilig nicht erwähnt:

  • Friedrich de Coussy, in Diensten der Kurfürstin Dorothea, "ein Mohr aus Guinea", wurde 1681-1684 zum Maler ausgebildet, 1693 wird er in einem Dekret erwähnt (Nicolai 1786, Bd. 4: 47; Becker 2012: 19)

Es gibt außerdem Hinweise auf weitere namentlich bislang nicht bekannte Schwarze Menschen in Brandenburg-Preußen, wobei es sich bei einem Teil um Überschneidungen mit den bereits namentlich bekannten handeln könnte (vgl. Kuhlmann-Smirnov 2013: 67). Theilig (2013: 99 ff.) führt in seiner Übersicht für Brandenburg-Preußen außerdem 38 als "Türken" bzw. "Türkinnen" bezeichnete Personen an (weitere Lebensschicksale sind dokumentiert in Lauré al-Samarai 2019, T. 1 & 2). Diese wie auch andere, nicht aus Afrika stammende dunkelhäutige Menschen, wurden zuweilen im 17./18. Jahrhundert ebenfalls als M* bezeichnet.

Für das 18. Jahrhundert haben Stefan Theilig (2013: 105 ff.), Andreas Becker (2012: 17 ff.) und Nicola Lauré al-Samarai (2019, T. 1 & 2) für Brandenburg-Preußen Hinweise auf weitere Menschen, die als M* bezeichnet wurden, zusammengetragen.

 

Sozialer Status nach Brandenburg-Preußen verschleppter Schwarzer Menschen

Im 17. und 18. Jahrhundert waren Schwarze Menschen am brandenburgisch-preußischen Hof vorwiegend als sogenannte "Kammermohr/innen", teils auch in gehobenen Positionen, beschäftigt. Kammer-M* (oder auch Hof-M*) war eine Bezeichnung für Schwarze Lakaien, also Hofbedienstete, die in Livree gekleidet Dienst taten. Dies änderte sich unter dem "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I., der sie als Militärmusiker ("Mohrenpfeifer", später "Janitscharen") einsetzte. Friedrich Wilhelm I. ließ zu diesem Zweck auch afrikanische Kinder durch Mittelsmänner von englischen oder niederländischen Händlern kaufen (Becker 2012: 21-25; Lauré al-Samarai 2019, T. 2: 22-27).

Der Historikerin Anne Kuhlmann-Smirnov (2013: 122 ff.) zufolge variierte der soziale Status der Schwarzen Bediensteten bei Hofe in Abhängigkeit von der Nähe oder Ferne zur Herrscherfamilie: “Über die Praxis des Taufens, die als konstitutives Element ihrer Integration in die Ständegesellschaft gelten kann, und Patenschaften waren sie in soziale Netzwerke eingebunden, die sich in ihren weiteren Lebensgeschichten als sozial wirksam erwiesen. Viele waren gut ausgebildet und wurden ihrer Position entsprechend entlohnt” (ebd.: 246).

Diejenigen, die als Musiker von deutschen Fürsten beschäftigt wurden, könnten, so die Autorin, "ohne Zweifel als frei und – angesichts ihres gehobenen Status als Hof- und/oder Militärmusiker – sogar als privilegiert gelten", insbesondere, wenn sie einer Gilde angehörten (ebd.: 124; vgl. auch Firla 2004: 16 f. und van der Heyden 2014: 261 ff.). Die Historikerin Monika Firla (2002: 58) legt dar, dass Kammer-M* an den Höfen rechtlich genauso wie die weiße Dienerschaft behandelt worden seien. Ob sie aber tatsächlich als "Freie" behandelt wurden, daran gibt es auf der Grundlage neuerer Forschungen einigen Zweifel (Mallinckrodt 2020; siehe Abschnitt "Rechtsstatus als 'Freie' oder 'Sklaven'").

Kuhlmann-Smirnov (2013) weist andererseits darauf hin, dass Menschen, die nach Europa verschleppt wurden, keine Wahl hatten. Sie wurden “in der Regel früh aus ihren Herkunftsfamilien gerissen ... und standen insofern in einem besonders ausgeprägten Abhängigkeitsverhältnis zu den Fürsten” (ebd.: 122).

 

Schwarze Menschen als Teil der höfischen Inszenierung

Als Kammer-M* wie auch Musiker waren Schwarze Menschen Teil der höfischen Inszenierung. Firla (2004: 14) zufolge schmückten sich die Fürstenhöfe mit Schwarzen Menschen und präsentierten sie als "Beweis für weitreichende Beziehungen". Auch der Historiker Ulrich van der Heyden (2008a: 7) stellt heraus, dass die ab Mitte des 17. Jahrhunderts vereinzelt an europäischen Höfen lebenden Hof-M* "vom Reichtum und der Macht der adligen Herrschaft zeugen" sollten. Schwarze Menschen erfüllten, wie Kuhlmann-Smirnov (2013: 120 & 122) darlegt, "von Jugend auf auch repräsentative Funktionen im Rahmen der frühneuzeitlichen höfischen Repräsentationskultur”, wodurch sie "unmittelbar weiße Herrschaft verkörperten".

 

Rechtsstatus als "Freie" oder "Sklaven"

In der Forschung wurde teilweise bislang davon ausgegangen, dass der Sklavenstatus von gekauften oder als "Geschenke" übergebenen außereuropäischen Menschen im Alten Reich aufgehoben gewesen sei, weil "die deutsche Rechtsgeschichte … im eigenen Land den Sklavenstatus nicht" kenne (van der Heyden 2008a: 8; Firla 2004: 13 ff.; Becker 2012: 15 f.). Dazu liegt nun eine neue Studie vor: Die Historikerin Rebekka von Mallinckrodt (2020: 14) zeigt anhand von breit rezipierten Rechtstexten des 18. Jahrhunderts, dass Sklaverei im Alten Reich "bis ins späte 18. Jahrhundert als rechtmäßige Form der Unfreiheit galt." Im Mittelpunkt ihrer Analyse stehen Texte des im 18. Jahrhundert viel rezipierten Juristen Ludwig J. F. Höpfner (1743-1797). Dieser erklärte zum Status von "Sklaven":

"Die Verordnungen des römischen Rechts haben noch heutzutag bey den wahren Sklaven statt. (§. 70.) Wer z. E. einen gefangenen Türken oder Negersklaven besitzt, der hat das Recht ihn zu veräussern, und alles sich zuzueignen, was der Sklav erwirbt."

Höpfner 1783: 81; zit. nach Mallinckrodt 2020: 7

Auch die Taufe führte Mallinckrodt zufolge nicht automatisch zu einer Befreiung aus dem Sklavenstatus (ebd.: 10); ebenso wenig standen Heirat oder Bezahlung dem Sklavenstatus entgegen (Mallinckrodt 2017: 357; vgl. auch Martin 1993: 140). Wenn tatsächlich eine Freilassung vorlag, dann standen, anders als bei aus einer Leibeigenschaft Entlassenen, dem "Freilasser" sogenannte Patronatsrechte zu. Was das bedeutete, führt Mallinckrodt folgendermaßen aus: "Der Patron wurde … als nächster Verwandter, als Vater des Freigelassenen angesehen, und jener nahm deshalb auch den Namen des Patrons an … . Der Freigelassene war dem Patron ferner Ehrerbietung schuldig, und wenn er dies versäumte, konnte er in den Sklavenstatus zurückfallen. Er schuldete dem Freilasser außerdem Ehrendienste wie die Begleitung bei öffentlichen Auftritten oder Arbeitsdienste, aber nur, wenn er sie versprochen hatte (wofür eine große Wahrscheinlichkeit bestand, wenn der Sklave sich dadurch die Freiheit erhoffte)" (Mallinckrodt 2020: 8).

Dieses fundamentale Abhängigkeitsverhältnis sollte also nicht einseitig als menschenfreundliche "Übernahme der Verantwortung für Unterhalt und weitere Ausbildung eines Pfleglings oder Quasi-Adoptierten” (Firla 2004: 14 f.) verstanden werden. Auch eine Gleichsetzung mit der Leibeigenschaft (ebd.) wird dem fundamentalen Zwangsakt der Verschleppung in ein fremdes Land und den Erfahrungen der Verschleppten nicht gerecht.

Für Europa muss von einem System des "verdeckten Menschenhandels" (Mallinckrodt 2019: 18) ausgegangen werden. Die Historikerin Anne Kuhlmann-Smirnov (2013: 49) hat gezeigt, dass Sklaventransporte ins Alte Reich "über eine Reihe von Zwischenhändlern, über Kapitäne oder Teile der Schiffsbesatzung, deren Lohn teilweise 'in Fracht', in Sklaven also, ausbezahlt wurde", geschah. Dies galt auch für die Wege, auf denen die "höfische Nachfrage nach schwarzen Bediensteten" befriedigt wurde: "Hof und Handel waren … durch einen … verdeckten, exklusiven Markt verbunden", so Kuhlmann-Smirnov (ebd.: 66).

Mallinckrodt weist darauf hin, dass in Anbetracht einer schwierigen Quellenlage der "Moment des Eigentümerwechsels, sei es durch Kauf oder Gabe, da er … weder durch das Rechtskonzept der Leibeigenschaft gedeckt war noch für Dienerinnen und Diener zulässig, der einzige [ist], an dem sich Versklavungspraktiken, wenn sie nicht expliziert werden, festmachen lassen" (Mallinckrodt 2017: 357). Die Autorin hat für das 17. und 18. Jahrhundert einige Verschleppungsfälle nachgewiesen, für die ein Sklavenstatus belegt ist (Mallinckrodt 2019; vgl. auch Martin 1993; Lauré al-Samarai 2019, T. 2: 13). Es seien nicht nur Mitglieder des hohen Adels gewesen, sondern auch Kaufleute, Missionare, Diplomaten, Seemänner und Soldaten, die die Menschen ins Alte Reich verschleppten (Mallinckrodt 2019: 24).

Erst mit der Einführung des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten 1794 wurde die Sklaverei in Preußen abgeschafft. Aber auch dessen Regelungen ließen Ausnahmen zu und sahen u. a. vor, dass ehemalige Sklaven verpflichtet waren, ihren Einkaufspreis abzuarbeiten (Mallinckrodt 2019: 370 f.; Reed-Anderson 2013: 14-17).