Humboldt-Universität zu Berlin - Institut für Europäische Ethnologie

Historische Bedeutung des Begriffs

Welche Bedeutung besaß der Begriff im 17. Jahrhundert? Wie hat sich der Begriff durch die Jahrhunderte gewandelt? Wie wird der Begriff heutzutage wahrgenommen?

 


 

 

17. bis 18. Jahrhundert

Im 16. bis 18. Jahrhundert festigte sich die Bedeutung des Worts "Mohren" im deutschen Sprachraum als eine Fremdbezeichnung für Menschen dunkler Hautfarbe mit Herkunft aus afrikanischen oder auch anderen außereuropäischen Ländern (Arndt / Hamann 2011;  van der Heyden 2014: 258). Der Quellenanalyse der Historikerin Anne Kuhlmann-Smirnov (2013: 89) zufolge beruhte in diesem Zeitraum die Hervorhebung dunkler Hautfarbe "weniger auf 'natürlichen' körperlichen Eigenschaften als auf einer graduellen Wahrnehmung von 'Fremdheit' … , welche auf eine gestaffelte Wahrnehmung von Unterschieden in Religion und religiösen Riten, gesellschaftlicher Organisation und kulturellen Orientierungen bezogen war." Aufbauend auf Thesen des Historikers Jürgen Osterhammel argumentiert die Autorin, dass M* noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts von der weißen Mehrheitsgesellschaft nicht als ein "ganz Anderes", sondern eher als "graduell Anderes" wahrgenommen worden seien (ebd.: 247).

Umstritten ist, ob das Wort in der Frühen Neuzeit bzw. vor Beginn der Aufklärung auch negativ konnotiert war. Eine herabsetzende Bedeutung heben zum Beispiel Susan Arndt und Ulrike Hamann (2011: 649) hervor. Die Autorinnen führen diese "auf die Feindschaft gegenüber Nicht-Christ*innen" zurück (vgl. auch Hinrichsen / Hund 2014: 79). Dem widersprechen Kritiker*innen wie der Historiker Ulrich van der Heyden (vgl. auch Firla 2004: 14):

"Es lässt sich nirgendwo nachweisen, dass in Berlin oder auf dem gesamten Territorium Preußens die Bezeichnung 'Mohr' bis zur Zeit der kolonialen Aufteilung Afrikas zu Beginn der 1880er-Jahre negativ oder stark abwertend gebraucht wurde."

van der Heyden 2014: 259

In der religiösen Erbauungsliteratur des 17. Jahrhunderts finden sich jedoch Beispiele einer herabsetzenden Verwendung des Begriffs, so in einem allegorischen Lehrgedicht über das Verhältnis von Leib und Verstand des Dichters Georg Philipp Harsdörffer (1607-1658):

"Es hatte ein fürnemer Herr zween Diener: Einen Mohren und einen andern / weises Angesichts. Der Mohr war ungestalt / rabenschwartz / unbericht / ungelehrt / widersinnig / faul / ungehorsam / und stunde seinen Herrn vielmals nach dem Leben. Der ander Diener war hingegen schön von Angesicht / adelich in Geberden / getreu / fleissig / seinen Herren Hold / der seinen Nutzen beförderte / und seinen Schaden warnete."

Harsdörffer 1650, T. 1: XC

Während der "getreue und wolgestalte Diener" das Sinnbild des Verstandes darstellt, steht der "schwartze Mohr" in dem Gleichnis für den Leib und dessen Laster. In einem anderen Lehrgedicht charakterisierte Harsdörffer die überwiegende Zahl der Einwohner "der berühmten Statt Poniropoli" (Philippopolis in Thracia, heute Plowdiw in Bulgarien) als "Mohren" mit "weissen Zähnen", um deren ungetreue, unehrliche Beredsamkeit anzuprangern. Ihre "schwartze Sündenhaut" lasse sich ebenso wenig ändern wie die der "Mohren" (ebd., T. 2: XCV).

In einer Predigtsammlung des Kapuziners Franz Joseph von Rodt (1631-1697) wird das Bild des "entsetzliche[n] Mohren-Lande[s]" bemüht, um eine Vorstellung vom Teufel zu geben. Reisende "in wilde Oede Länder / under die wilde Mohren und Heyden" wüssten zu berichten, dass diese "abscheulich seynd anzusehen / und noch förchtiger ist bey ihnen zu wohnen / welche die Menschen / als wie das unvernünfftige Vieh schlachten / Metzgen / sieden / braten / und essen" (Rodt 1678: 777).

Die Assoziation von M* mit Sünde bzw. Lasterhaftigkeit und Bedrohlichkeit setzte sich zu Beginn des 18. Jahrhundert fort, nun auch vermehrt mit dem Hinweis auf ihre Versklavung. Im "Realen Staats- Zeitungs- und Conversations-Lexicon" heißt es unter dem Lemma "Africa" über die "Negres oder Mohren":

"Sie sind … lasterhafft, wilde, grausam und starck, … , und werden derer eine sehr grosse Menge jährlich als Sclaven an die Europäer verkaufft, und von dar nach America in die Bergwercke gebracht."

Hübner et al. 1711Hübner et al. 1711: 27

In einer seinerzeit populären Sammlung von aus dem Französischen ins Deutsche übersetzten "lettres édifiantes" – Jesuitenbriefen, die der religiösen Erbauung und Bildung dienten – schrieb der Patris du Margat in einem "Brief aus Nord-America Oder West-Indien" (verfasst 1725) über seine Bemühungen, die afrikanischen Sklaven auf der karibischen Insel Dominica zu missionieren:

"Wahr ist / daß / überhaubt zu reden / besagte Mohren von grober / tummer / wilder und viehischer Art seynd / doch nicht alle in gleicher Maß / sonder einige mehr / andere weniger / nach Beschaffenheit dern unterschidlichen Africanischen Ländern / aus welchen sie herkommen."

zit. nach Stöcklein 1729: 46

Auch Verknüpfungen mit Menschenfresserei finden sich weiterhin, so in einem 1733 postum publizierten Werk der Frühaufklärung des Rechtswissenschaftlers Nicolaus Hieronymus Gundling (1671-1729):

"Die Mohren sind schlimm, machen die Leute auch gerne todt, fressen sie gar auf … . Es ist keine lumpichtere, lächerlichere und garstigere Nation zu finden, als die Mohren … . Der Handel mit denen Mohren oder Schwartzen selbst ist das considerableste; sie werden verkaufft, wie Ochsen … ."

Gundling 1733: 844; vgl. Hinrichsen, Hund 2014: 87

Gundling verwendet auch bereits den Begriff "Rasse", um die dunkle Hautfarbe als angeboren zu erklären:

"Da sind auch viel schwartze Leute, und viel weisse … ; das kommt nicht allein vom Climate her, sondern von der Race, denn die Mohren haben was in der Haut, das sich bey andern nicht findet."

Gundling 1733: 827

Solche Beispiele zeigen, dass der M*-Begriff auch bereits vor dem Zeitalter der Aufklärung und in der Frühaufklärung je nach Kontext negative Bedeutungen haben konnte. Kuhlmann-Smirnov (2013: 93) hebt die "Ambiguität" des M*-Begriffs "im Hinblick auf seine vielschichtigen geografischen, biblischen und kulturellen Konnotationen" hervor. So habe es in der Literatur "neben Beschreibungen von Schwarzen als Teufel und Ungestalten" auch "positive Bilder" gegeben, beispielsweise im Parzival (ebd.: 94). "Ausgesprochen positive Bilder" von M* seien auch die sakralen Darstellungen Schwarzer Heiliger und König*innen (Priesterkönig Johannes und Dreikönigsdarstellungen, Königin von Saaba, heiliger Mauritius, schwarze Madonnen) gewesen, insofern diese "nicht mehr als das apodiktisch Fremde schlechthin, sondern als Teil der christlichen Welt" erschienen (ebd.: 96 f.). Dasselbe gelte, so die Historikerin, für "das Auftreten von 'edlen Mohren' – realen wie imaginierten – in höfischen Bühnenstücken" (ebd.: 200). Darstellungen von M* in der Kunst und der Wappenkunst dienten der "Herrschaftsrepräsentation" und manchen Kaufmannschaften auch als Statussymbol (ebd.: 207 ff.). In dieser repräsentativen Funktion vermengten sich ab Mitte des 17. Jahrhunderts, als sich "koloniale und tradierte höfisch-europäische Wahrnehmungen zu überschneiden und ineinander überzugehen begannen" (ebd.: 207), eine Wertschätzung des M* als "kostbares Objekt" und seine Verdinglichung als "koloniales Objekt", so die Autorin (ebd. 216). Dies galt auch für die realen Schwarzen Menschen, die an europäischen Höfen dienten. Sie "verkörperten", wie Kuhlmann-Smirnov (2013: 122) darlegt, "unmittelbar weiße Herrschaft" (siehe dazu Abschnitt "Schwarze Menschen als Teil der höfischen Inszenierung").

 

Zeitalter der Aufklärung

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts begannen der "Aufklärung" verpflichtete deutsche Naturforscher und Philosophen, "Rassen" anhand physischer Merkmale in einer "hierarchisch gegliederten Kette der menschlichen Lebewesen einzuordnen", wobei sie, so die Wissenschaftshistorikerin Londa Schiebinger (1993: 294-297), M* auf der niedersten Stufe verorteten und in die Nähe von Affen rückten.

Zu den bekannten Beispielen gehört die 1784 erschienene kurze Schrift "Über die körperliche Verschiedenheit des Mohren vom Europäer" von Samuel Thomas Soemmering (1755-1830). Der Anatom und Anthropologe präsentierte in der Abhandlung die Ergebnisse seiner vergleichenden anatomischen Untersuchung der Leichen Schwarzer Menschen und spekulierte, dass das angeblich kleinere Gehirn von Schwarzen Menschen ihre "Wildheit" und geringere "Fähigkeit zur feineren Kultur" erklären könne (Soemmering 1784: 24; vgl. Hundt 2009: 35 f. zur Frage, wie der Anatom Zugriff auf die Leichen erhielt). Als Resümee seiner Untersuchung hielt Soemmering fest:

"Daß im allgemeinen, im Durchschnitt, die afrikanischen Mohren doch in etwas näher ans Affengeschlecht, als die Europäer gränzen. Sie bleiben aber drum dennoch Menschen … ."

Soemmering 1784: 32

Der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) äußerte sich u.a. in einer Vorlesung über "Physische Geographie" (1763/64, publiziert nach einer Mitschrift 1839) sowie in der Abhandlung "Von den verschiedenen Racen der Menschen" (1775) über M* und die Unterschiede sogenannter "Racen". Zu den vier "Grundracen" zählte er die "Negerrace" und die "Race der Weißen" (Kant 1775: 4-6). Letztere stellte Kant als die höchste Stufe der Menschheit dar. Er behauptete, wie Firla (1997: 8) zeigt, dass Schwarze Menschen von Natur aus negative Eigenschaften besitzen würden; insbesondere betrachtete er sie als "läppisch". Den M*-Begriff verwendete Kant (1763/1839: 324 ff.) in einer Vorlesung über "Physische Geographie" als Synonym für "Mauren", aber auch als Überbegriff für alle Afrikaner*innen sowie – nicht trennscharf – für Menschen, deren Haut von "schwarze[r] Farbe" ist. In der Schrift "Von den verschiedenen Racen der Menschen" findet sich der Begriff hingegen nur noch als Synonym für "Mauren", wobei Kant (1775: 4) die "Mauren" in die "Race der Weißen" einordnete und diese der "Race" der N* entgegensetzte.

Mit der Aufklärung löste sich, so Kuhlmann-Smirnov (2013: 93), der M*-Begriff "mehr und mehr aus seiner Einbettung in biblisch-religiöse Sinnkontexte". Stattdessen wurde er in "Rasse"-Theorien integriert. Solche Theorien basierten neben vergleichenden anatomischen Beobachtungen auch auf Reiseberichten und damit, wie dies die Historiker und Soziologen Malte Hinrichsen und Wulf Dietmar Hund (2014: 89) pointiert ausdrücken, auf einem "über Jahrhunderte angehäufte[m] Material kolonialer Welterschließung". Dies kommt auch in einem Eintrag in der "Oeconomischen Encyclopädie" zum Ausdruck:

"Besonders pflegt man einen solchen ganz schwarzen Afrikaner, welchen vornehme Herren zu ihrer Bedienung halten, einen Mohren zu nennen."

Krünitz 1803, Lemma "Mohr"

Unter dem Lemma "Mohr" wurde dort als erste Bedeutung die Gleichsetzung mit "Mauren" und "Muhammedanern", als zweite die Gleichsetzung mit "Schwarzen oder Negern" (bezogen auf Schwarze "Bewohner des südlicheren Afrika") angeführt (nahezu wortgleich lautete der entsprechende Eintrag im "Universal-Lexicon": Köppen / Wagener 1806: Lemma "Mohren (Mauern)"; vgl. Hinrichsen / Hund 2014: 85). Spätere Lexikonartikel wie z.B. im "Damen-Conversations-Lexikon" bekräftigten insbesondere die zweite Gleichsetzung (Herlosssohn 1836: Lemma "Mohren").

 

19. Jahrhundert

Ein zunehmend verfestigtes kolonial-rassistisches Gedankengut zeigte sich im 19. Jahrhundert u.a. in den Verwendungen des M*-Begriffs in Sprichwörtern. So heißt es etwa im "Deutschen Sprichwörter-Lexikon":

"Wer von einem Mohren wohl bedient sein will, der muss ihn wohl speisen, viel arbeiten lassen und tüchtig prügeln."

Wander 1873, Lemma "Mohr", zit. nach van der Heyden 2008b: 8

Im "Deutschen Sprichwörter-Lexikon" wurden unter dem gleichen Lemma auch verschiedene Varianten von Sprichwörtern zur sogenannten "Mohrenwäsche" und ihrer Vergeblichkeit versammelt. Das Sprachbild selbst lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen, doch in der pädagogischen Gebrauchsgraphik und der Kinderliteratur des 18. und 19. Jahrhunderts erfuhr es zusammen mit seinem Gegenstück, dem "Anschwärzen", eine zunehmend rassistische Verwendung (Badenberg 2004: 174, 176 f.). So findet sich bereits in Christian Lorenz Strucks (1741-1793) "Bilder-A, B, C" von 1788 eine Darstellung einer sich waschenden, nur mit einem Röckchen und Turban bekleideten schwarzen Gestalt. Die Bildunterschrift lautete:

"Vergebens wäschet sich der Mohr, Denn er bleibt schwarz. Der Thor bleibt Thor."

Struck 1788: Buchstabe "M", zit. nach Badenberg 2004: 177

1877 beschrieb Heinrich Oswalt (1830-1891) in seinem mehrfach aufgelegten Kinderbuch "Unter'm Märchenbaum" die angemessene Strafe für ein (weißes) Kind, das sich nicht waschen lassen wollte und sich erst dazu entschloss, nachdem es als "Mohrenkind" verhöhnt worden war, folgendermaßen:

"Man rieb und rieb, man wusch und wusch das Kind, es blieb so schwarz und schmutzig wie zuvor, es blieb ein Leben lang ein Mohr!"

Oswalt 1877, zit. nach Schmidt-Wulffen 2010: 144

Die Kunsthistorikerin Nana Badenberg (2004: 177) hat untersucht, wie die "Mohrenwäschen … zur Blütezeit der kolonialen Durchdringung Afrikas" auch zur Vorlage für Seifenwerbung wurde (z.B. für "Mohren-Seife" der Schweizer Firma Huber & Co; http://www.emuseum.ch/objects/143505/kaufen-sie-mohrenseife-alleinige-fabrikanten-huber--co, Stand: 5.8.20). Diese operierte mit stereotypen Bildern von Schwarzen, wobei die Werbung, so Badenberg, "eine symbolische Gleichsetzung von Seife und Zivilisation" vorgenommen habe (ebd.). Badenberg hat zudem die Inszenierung einer "Mohrenwäsche" 1894 im Rahmen einer Völkerschau im Leipziger Zoo rekonstruiert. Als Schwarzer Darsteller fungierte ein Suaheli aus der Kolonie "Deutsch-Ostafrika" (ebd.: 173 f.).

Wissenschaftliche Darstellungen legitimierten die rassistischen Alltagsvorstellungen. Mit der Etablierung von Entwicklungs- und im engeren Sinne Evolutionstheorien im 19. Jahrhundert setzten einige Anthropologen und Naturforscher Schwarze Menschen mit "Affenmenschen", den evolutionären Bindegliedern zwischen Affen und Menschen, gleich. Der Mediziner, Naturforscher und Naturphilosoph Lorenz Oken (1779-1851) schrieb in seinem dreiteiligen "Lehrbuch der Naturphilosophie" im 1811 erschienenen dritten Band:

"Der Affenmensch ist der Mohr … er ist schwarz, und kann durch die Farbe seine innern Regungen nicht kund thun. … Der menschige Mensch ist der Weisse. … Wer erröthen kann, ist ein Mensch; wer dieses nicht kann, ist ein Mohr."

Oken 1811: 354 f.

Während die anthropologische "Rassenkunde" insbesondere mittels kraniometrischer Techniken vergleichende Untersuchungen vorantrieb und einige der beteiligten Wissenschaftler mit Hilfe des Materials eine natürliche Hierarchie der "Rassen" konstruierten (Hanke 2007), wurde der M*-Begriff zunehmend durch das N*-Wort ersetzt. Vereinzelte Verwendungen finden sich gleichwohl noch insbesondere im "Archiv für Anthropologie: Zeitschrift für Naturgeschichte und Urgeschichte der Menschen", dem Organ der "Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte" (etwa mit Bezug auf die korrekte Vermessung eines sogenannten "Mohrenschädels" 1870 in Bd. 4: 295 & 298; weitere Begriffsverwendungen finden sich in Bd. 12. 1879/80: 248 und Bd. 17. 1887/88: 320).

 

20. Jahrundert bis heute

Vor dem Hintergrund, dass das Deutsche Kaiserreich seit 1884 Kolonialmacht geworden war, nutzte die Werbung, insbesondere für Kolonialprodukte wie Kakao und Kaffee, um 1900 exotisierende Darstellungen Schwarzer Menschen. Manche der durch solche Figuren beworbenen Produkte erhielten eine Bezeichnung, in der der M*-Begriff Verwendung fand, so zum Beispiel der "Mohrenkaffee" oder, das wohl bekannteste Beispiel, eine Pralinenauswahl der Firma Sarotti namens "Drei-Mohren-Mischung". Die drei M* mit Tablett wurden zum 50-jährigen Jubiläum der Firma Sarotti, deren erster Firmensitz in der M*-Straße lag, am 27.08.1918 als Markenzeichen angemeldet (https://www.sarotti.de/historie/, Stand: 5.8.20). 1922 wurde es auf eine einzelne Figur mit Tablett reduziert. Der Sarotti-M* zierte (bis zu seiner Abwandlung 2004 in den "Sarotti-Magier der Sinne" als neuem Markenzeichen) Produktverpackungen, Plakate, Postkarten oder Tassen und wurde auch als Nippesfigur verkauft. In der Nachkriegszeit war der Sarotti-M* auch in Werbespots im deutschen Fernsehen zu sehen. "Auf Pressebällen", so hat die Wirtschaftshistorikerin Rita Gudermann (2004: 7) recherchiert, "servierten als Sarotti-Mohren ausstaffierte dunkelhäutige Kinder illustren Gästen Sarotti-Schokolade auf silbernen Tabletts."

In ähnlicher Weise hatte bereits, so der Historiker Joachim Zeller, Anfang des 20. Jahrhunderts die Hamburger Firma "A.L. Mohr Actien-Gesellschaft Altona-Bahrenfeld" Schwarze Menschen für die Verteilung von Werbegeschenken eingesetzt, um ihren "Mohren-Cacao" zu vermarkten (Zeller / Wegmann 2008/17). Das M*-Wort diente und dient u.a. zahlreichen Cafés als Name. Ihre Schilder weisen nicht selten bis in die heutige Zeit stereotype Darstellungen Schwarzer Menschen auf (ebd., mit zahlreichen Fotos; siehe auch Wikipedia-Artikel "Mohr", Abschnitt "Mikrotoponyme (Kleinobjekts- bzw. -ortsnamen)", Stand 5.8.20). Zeller und der Co-Autor Heiko Wegemann (2008/2017) resümieren: "Egal ob klein und niedlich oder selten auch einmal groß und aufrecht: die Botschaft besteht immer darin, schwarze Hautfarbe und das Dasein als Diener zu verknüpfen."

Die exotisierte Dienstbarkeit, die sich mit dem solchermaßen geprägten Stereotyp des M* verbindet, prägt den Begriff bis heute. Aus der Sicht von Kritiker*innen heutiger Verwendungen des Begriffs, darunter vieler Schwarzer Menschen, ist das Wort nicht lediglich veraltet, sondern auch "heute diskriminierend", wie auch der Duden festhält (https://www.duden.de/rechtschreibung/Mohr, Stand 5.8.20). Stellvertretend für eine große Anzahl von Initiativen und Organisationen, darunter auch der Afrika-Rat-Dachverband afrikanischer Vereine und Initiativen Berlin-Brandenburg e.V. mit 36 Mitgliedsorganisationen (https://www.afrika-rat.org/, Stand 5.8.20), hat Moctar Kamara, Vorsitzender des Zentralrats der afrikanischen Gemeinden in Deutschland, am 29.1.2015 in einem Offenen Brief an Philipp Lengsfeld von der CDU (damals MdB) formuliert:

"Die deutsche Sprache ist voll von Redewendungen, die mit dem Begriff 'Mohr' neben Exotik auch Abwertung, Unterwürfigkeit, Dummheit und Infantilität verbinden. Der Begriff ist daher genau wie das N-Wort ganz ohne Zweifel eine rassistische und beleidigende Fremdbezeichnung für Schwarze Menschen."

http://www.africavenir.org/fr/newsdetails/archive/2015/january/article/offener-brief-des-zentralrats-der-afrik-gemeinde-in-deutschland-zur-berliner-mohrenstrasse.html?tx_ttnews%5Bday%5D=26&cHash=27a560f963b2c76ddc73346ec6b1d6f3, Stand 5.8.20

 

Resümee: Exotisierung und Rassismus

Weitgehend Einigkeit besteht darüber, dass der M*-Begriff im Kontext der "Rasse"-Theorien der Aufklärung eine rassistische Konnotation erhalten hat. Manche Autor*innen stufen auch die frühneuzeitlichen Verwendungen des M*-Begriffs als rassistisch ein (Aikins / Danielzik / Steinitz 2007). Dies halten andere Autor*innen für eine ahistorische Fehleinschätzung. So bekräftigt etwa Ulrich van der Heyden (2014: 258), dass die frühneuzeitliche Begriffsverwendung “nicht rassistisch konnotiert, allenfalls exotisch” gewesen sei. Offenkundig greifen die Kontrahent*innen in dieser Kontroverse auf unterschiedliche Rassismus-Definitionen zurück.

Rassismus-Definitionen lassen sich danach unterscheiden, ob sie eher auf den "Kerngehalt verschiedener Ausprägungen von Rassismen" oder eher auf "die Funktionen von Rassifizierungen" zielen (Plümecke 2013: 39). Werden die Funktionen von Rassismus in den Vordergrund gestellt, dann fokussieren die Autor*innen auf Ideologien essentialisierender Differenzsetzungen zwischen Menschengruppen, die der Rechtfertigung von Ungleichbehandlung bzw. hegemonialen Machtverhältnissen zwischen diesen dienen (ebd.: 40 f.). Bezüglich ihres Gegenstands variieren die Rassismus-Definitionen erheblich: Manche Autor*innen beschränken den Begriff auf Überzeugungen, die hierarchisierende Differenzsetzungen zwischen Menschen auf Grundlage biologistischer "Rasse"-Konstrukte annehmen. Andere fassen darunter zusätzlich solche Ideologien, die unveränderliche, essentialisierende Unterschiede zwischen "Herkunftsgemeinschaften" konstruieren, die (auch) kulturell begründet werden. Sowohl die eng- als auch die weitgefassten Definitionen bringen Schwierigkeiten mit sich, erstere, weil sie den Kulturrassismus nicht erfassen, und letztere, weil sie nicht klar gegen andere Formen von gruppenbezogener Diskriminierung bzw. Gewalt abgegrenzt sind (Koller 2015).

Eine weitere Facette dieser Auseinandersetzung um die frühneuzeitliche Bedeutung des M*-Begriffs betrifft das Verhältnis von Exotismus und Rassismus. Mehrere Autor*innen haben hervorgehoben, dass das frühneuzeitliche europäische Verständnis des M* Schwarze Menschen exotisierte (z.B. Hinrichsen / Hund 2014: 96; Kuhlmann-Smirnov 2013: 246; Firla 2002: 58). Die Wahrnehmung von etwas "Fremden" als exotisch verweist, so wird im "Handbuch Postkolonialismus und Literatur" (mit Bezug auf Literaturströmungen) ausgeführt, auf eine Stereotypisierung, die mit einer Mischung aus positiven und negativen Bewertungen einhergeht: Exotismus wird in dem Handbuchartikel als "ambivalente, zwischen positiver und negativer Stereotypisierung und zwischen Selbstkritik und Rassismus schwankende Faszination für das (außereuropäische) Fremde" definiert (Gess 2017: 145). Diese Definition liefert Argumente dafür, auch Exotisierung als rassistisch zu begreifen.

Der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit gegenüber einer weitgefassten Verwendung des Begriffs Rassismus im Zusammenhang mit der frühneuzeitlichen Bedeutung des Begriffs M* ist somit nicht haltbar. Vielmehr hängt die Verwendung eines auf die Legitimationsfunktion zielenden, eines eng- oder weitgefassten Rassismus-Begriffs vor allem davon ab, wie sich die Autor*innen theoretisch und politisch verorten.